Stell dir vor es ist Frieden und keiner geht hin

Fast jeder Bremer hat sie schon einmal gesehen: die Friedensaktivisten, die jeden Donnerstag auf dem Marktplatz eine Mahnwache halten. Was motiviert diese Frauen und Männer seit 24 Jahren, hier zu stehen, auch wenn der Zuspruch gering bleibt?

Bremen taz ■ Es ist zugig auf dem Marktplatz. Die weißen Haare von Ingeborg Kramer flattern im Wind. Doch das macht der 71-Jährigen nichts aus. Mit der rechten Hand hält sie den Stab eines Transparentes, auf dem steht, wofür sie hier steht: „Mahnwache für Frieden, für Abrüstung, für Versöhnung, für Gerechtigkeit“. Viele Bremer sehen Ingeborg Kramer und ihre wenigen Mitstreiter, die dort jeden Donnerstag eine Stunde stehen und demonstrieren – doch kaum jemand beachtet sie. Was aber treibt die meist älteren Anhänger des Friedensforums trotzdem jede Woche wieder zur Mahnwache?

Ingeborg Kramer muss es wissen. Sie ist vom ersten Tag im März 1981 dabei – jeden Donnerstag. „Für mich ist die Mahnwache Pflicht. Ich stehe hier bei jedem Wetter“, sagt die Pazifistin. Vor ihrem Körper hängt ein Plakat, auf dem steht: „Rüstungsexport ist Mord. Rot-Grün setzt fort“. „Die Pappe stammt noch aus den Anfangszeiten der Mahnwache“, erzählt sie und lächelt schwach. Einmal im Jahr setzt sie neue Slogans darauf – handgeschrieben und mit eigenen Grafiken versehen. „Der Einsatz für Frieden ist immer aktuell“, sagt Ingeborg Kramer.

1981 haben sie und die anderen Frauen von der Evangelischen Frauenkirche zunächst gegen den Bau der Atomkraftwerke und den Nato-Doppelbeschluss demonstriert. „Einige von uns konnten nicht mitfahren zu den Großdemonstrationen in Bonn und wo die damals überall statt fanden. Da haben wir uns hier auf dem Marktplatz versammelt.“ Zunächst hätten sie geschwiegen, doch dann schnell gemerkt, dass sie den Dialog mit den Menschen suchen müssten, um sie davon zu überzeugen, dass es sich lohne, für Frieden und Abrüstung zu kämpfen.

Ingeborg Kramer erinnert sich gern an die vielen Erlebnisse mit Bremer Bürgern auf dem Marktplatz – auch in jüngerer Zeit. „Die Menschen kommen zu uns, wenn gerade wieder ein Krieg ansteht, den sie über die Medien wahrnehmen“, sagt die Pazifistin. Während des jüngsten Irakkriegs hätten sie jede Menge Zulauf gehabt, Unterschriften gesammelt, mit jungen Menschen diskutiert. Und wenn Ingeborg Kramer das erzählt, dann leuchten ihre Augen. Doch sie seien auch beschimpft worden, vor allem während des Kalten Krieges hätten sie sich anhören müssen, dass die Bundeswehr auch sie vor den „Russen“ beschütze und Abrüstung Arbeitsplätze vernichte. „Da fällt das hier manchmal auch schwer“, sagt Ingeborg Kramer, vor allem wenn man sehe, dass immer weiter gerüstet werde, trotz der Proteste der Mahnwache. Aber Ingeborg Kramer gibt nicht auf. Sie ist überzeugt, von dem was sie tut.

„Viele nehmen uns nicht mehr wahr, weil wir schon zum Stadtbild gehören“, mutmaßt die Pazifistin. Aber dann bleibt doch eine Passantin stehen, nähert sich vorsichtig der Mahnwache. Inge Sattmann hat eine Frage. „Wie stehen Sie zu den Rüstungsexporten nach China?“, will die ehemalige Geschichtslehrerin wissen. Und Ingeborg Kramer holt aus. Natürlich sei sie dagegen und hoffe, dass Bundeskanzler Schröder sich nicht durchsetzen könne. Und blitzschnell ist sie bei der Regierung und den Grünen, die ja damals schon den Irakkrieg unterstützt und den Nachschub der US-Amerikaner über die Flughäfen der NATO in Deutschland geduldet hätten. „Auch so geht von deutschem Boden ein Krieg aus – und dagegen wehren wir uns“, sagt sie und fasst den Stab ihres Transparentes etwas fester. „Nun gut, aber wo endet dann die Unterstützung eines Krieges und die Rüstung? Gehört ein Lkw auch schon dazu?“, fragt Inge Sattmann und rückt ihre große Brille zurecht. „Na klar“, antwortet Ingeborg Kramer, „der wird ja auch im Krieg eingesetzt.“

So ganz mag sich Inge Sattmann den Argumenten der Pazifistin nicht anschließen, die auch gleich noch von Bodenschätzen und Diamanten in Afrika erzählt, um die die großen Mächte kämpften. Dennoch hat die ehemalige Lehrerin Sympathien für die Aktivisten um Ingeborg Kramer: „Ich finde es prima, dass sie hier stehen. Das Thema ist wichtig.“

Das freut Ingeborg Kramer sichtlich. Für sie ist die Mahnwache keinesfalls anachronistisch. „Meine Kinder und Enkel finden gut, wofür ich hier stehe. Auch wenn sie eine Mahnwache selber nicht anspricht.“ Dabei ist sie auch bei anderen Demonstrationen und Aktionen dabei – etwa den Ostermärschen. Und so lange sie noch gut stehen kann, wird sie auch die Mahnwache weiter machen. „So reden wir direkt mit den Leuten, das geht anders nicht.“ Heute hat sie nur mit Inge Sattmann geredet. Pünktlich um 18 Uhr rollt Ingeborg Kramer ihr Transparent ein und verlässt den Marktplatz. Nächsten Donnerstag wird sie wieder hier stehen – selbst wenn keiner anhält und mit ihr reden will. Kay Müller