Aus für Ecuadors Präsidenten Gutiérrez

Nach monatelangen Massenprotesten stimmt das Parlament für die Absetzung. Geschasster Staatschef erhält politisches Asyl in Brasilien. Der neue Amtsinhaber Alfredo Palacio kündigt die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung an

VON INGO MALCHER

Ecuador hat einen neuen Präsidenten. Nach monatelangen Protesten gegen die Regierung hat das Parlament den amtierenden Staatschef Luicio Gutiérrez am Mittwoch abgesetzt. 60 der 100 Abgeordneten stimmten für die Absetzung. Der bisherige Vizepräsident, der Arzt Alfredo Palacio, hat daraufhin die Amtsgeschäfte übernommen. Doch kurz nach seiner Vereidigung blockierten Demonstranten das Parlament, seine erste Pressekonferenz musste er unter dem Schutz des Verteidigungsministeriums bestreiten. Dort sagte er: „Ich bin eure einzige Hoffnung.“ Palacio kündigte ein Referendum über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Ecuador an und stellte die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung in Aussicht.

Der abgesetzte Präsident Gutiérrez flüchtete mit einem Militärhubschrauber in die brasilianische Botschaft. In der Nacht zum Donnerstag teilte ein Botschaftssprecher mit, die Regierung Brasiliens habe Gutiérrez politisches Asyl gewährt. Wann er ausreisen wird, ist unklar.

Abgesetzt wurde Gutiérrez, weil er in den Augen der Abgeordneten gegen die Verfassung verstoßen hat, als er vergangene Woche den Ausnahmezustand ausrief. Außerdem habe er nach Ansicht der Parlamentarier paramilitärische Banden unterstützt.

Noch Stunden vor seiner Absetzung schwor er seine Anhänger darauf ein, dass er trotz der Straßenproteste nicht zurücktreten werde. Bei Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und tausenden Demonstranten wurden zahlreiche Menschen verletzt, ein chilenischer Fernsehreporter kam ums Leben, als er bei einem Tränengaseinsatz der Polizei einen Herzinfarkt erlitt.

Entzündet hatten sich die Proteste gegen Gutiérrez, nachdem dieser bereits im vergangenen Dezember per Dekret neue Richter am Obersten Gerichtshof ernannte. Sein Ziel war damals die „Entpolitisierung“ des Gerichts, wie er es nannte. Doch auffällig viele Gefolgsleute des ins Exil geflohenen Expräsidenten Bucaram wurden zu Richtern ernannt. Gutiérrez’ Plan war es auch, die Rückkehr von Bucaram zu ermöglichen, um mit den Stimmen von dessen Partei eine stabile Allianz schmieden zu können. Denn seine Minipartei „Patriotische Gesellschaft“ konnte ihn nicht mehr alleine stützen.

Bucaram wird vorgeworfen, während seiner Amtszeit (1996–1997) öffentliche Gelder veruntreut zu haben. Am 31. März entschied das Gericht, das Verfahren gegen Bucaram einzustellen, und machte damit dessen Rückkehr nach Ecuador möglich. Bucaram beglückwünschte den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Guillermo Castro, „die Hosen anzuhaben, um die Oligarchie zu bekämpfen“. Ironisch war das nicht gemeint. Castro ist ein Kindheitsfreund von Bucaram, er half dessen Partei aufzubauen und war während der Präsidentschaft von Bucaram Generalstaatsanwalt in Ecuador.

Vergessen haben das die Ecuadorianer nicht und gingen gegen Gutiérrez wegen des Deals auf die Straße. Trotz des Ausnahmezustandes demonstrierten am vergangenen Wochenende abermals tausende gegen den „Diktator“. Auch das Militär, einst ein enger Verbündeter von Gutiérrez, verweigerte ihm die Gefolgschaft. Damit war sein Schicksal besiegelt.

Im Absetzen von Amtsträgern haben die Abgeordneten in Ecuador Übung. Vor acht Jahren enthoben sie Abdalá Bucaram des Präsidentenamtes, weil er ihrer Ansicht nach „unzurechnungsfähig“ war. 2000 war Jamil Mahuad an der Reihe, weil er das „Amt verlassen hat“, obwohl er von Militärs mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen wurde.

Einer der damaligen Gegner Mahuads war Gutíerrez, der die rebellischen Militärs anführte. 2002 wurde er zum Präsidenten gewählt und trat mit einem breiten linken Kabinett an, in dem auch Indigenas Ministerposten innehatten. Doch nach und nach verlor Gutiérrez seine Verbündeten. Stattdessen orientierte er sich stark an den USA und wurde für Washington zu einem wichtigen Gefolgsmann.