MATTHIAS STÜHRWOLDT GRÜNLAND
: Mit zarten Fingerchen

Ältere finden: Bauern brauchen Pranken. Jüngere mögen Handschuhe, wenn sie Rinder rektal untersuchen

Es galt als ehrenrührig, innerhalb der Bauernschaft meiner Elterngeneration, bei der Arbeit Schutzhandschuhe zu tragen. Bäuerinnen und Bauern mussten echte Bauernhände haben, die nach harter Arbeit auszusehen, zu riechen und sich anzufühlen hatten. Als ich ein Kind war, glichen die Hände meiner Eltern expressionistischen Skulpturen, die das harte Leben der bäuerlichen Bevölkerung versinnbildlichten. Der Dreck an den Händen meines Vaters war teilweise nicht wegschrubbbar, befand sich partiell unter der Haut. So gesehen bestand mein Vater zum Teil aus Dreck, aber er war trotzdem meist gut gelaunt.

Mutters Hände sahen noch weit schlimmer aus, denn sie war auf unserem Hof für die Reinigung der Melkmaschine zuständig. Diese wurde zur Abtötung aller möglichen Keime wechselnd mit stark ätzenden alkalischen und sauren Reinigungsmitteln geputzt, natürlich ohne Handschuhe. Wie sich herausstellte, töteten die Reinigungsmittel nicht nur Keime, sondern auch Mutters Hände. Sie waren immer knallrot, geschwollen und von Kontaktekzemen gezeichnet. Niemals vermochte ich mir vorstellen, wie meine Eltern mit diesen Pranken zärtlich zueinander sein konnten. Vielleicht waren sie es nie. Oder wenn, dann ohne Hände.

Als ich dann anfing, auf dem Hof zu arbeiten, tat ich das oft mit Handschuhen. Meine Hände sollten nicht zu lebenden Arbeiterdenkmalen verkommen, also schützte ich sie. Was mir den Spott aller alten Bauern des Dorfes eintrug. Der von mir noch immer nicht verstandene Lieblingsspruch lautete: „Handschuhe? Da scheißt dir der Kuckuck rein!“ Und als Birte und ich ein Kind nach dem anderen bekamen, sagten sie: „Kein Wunder, dass sie ihn immer ranlässt! Bei den zarten Handschuhfingerchen!“ Dabei sind meine Hände gar nicht zart. Ich habe schon echte Bauernpranken, ausreichend rau, um meiner Frau damit gelegentlich ein veritables Rückenpeeling zu verpassen.

Aber ich achte darauf, dass der Dreck nicht einwächst und die Haut heil bleibt. Jetzt im Winter ist das schwierig, wenn ich aus dem Melkstand mit feuchten Fingern in die Kälte muss, um die Kälber zu tränken. Dabei helfen auch die dünnen Melkhandschuhe nicht. Außerdem sehen die voll uncool aus. Da scheißt dir echt der Kuckuck rein.

Inzwischen liegt Handpflege für Bauern voll im Trend. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft propagiert den Einsatz von Schutzhandschuhen bei der Arbeit, und die Arbeitshandschuhindustrie ist nicht untätig gewesen. Für jeden Einsatz gibt es mittlerweile passende Handschuhe, sei es zum Melken, zum Güllefahren oder auch zur rektalen Untersuchung von Rindern.

Jene Exemplare sind richtig lang, eigentlich sind es eher Armschuhe, in transparentem Hellrot. Mein Vater kam ohne sie aus. Ich sehe ihn noch heute vor mir, mit nacktem Oberkörper im kalten Stall, den kompletten Arm dort, wo es immer warm war. Mittlerweile ist er seit vierzehn Jahren Altenteiler, im Ruhestand, auf dem Sofa. Heute sind seine Hände sauber und zart. Selbst der Dreck unter der Haut ist fort. Für immer.

Der Autor ist Biobauer in Schleswig-Holstein Foto: privat