Ein Dreieck vom Feinsten

Mit einem 4:1-Sieg setzt Hertha BSC seinen Vormarsch in der Tabelle fort, während die mutlosen Schalker Gefahr laufen, nach dem Titel auch noch die Champions League zu verpassen

AUS BERLIN MATTI LIESKE

Es war das Spitzenmatch des 30. Spieltags, eine Vorentscheidung im Kampf um die Teilnahme an der Champions League, das Duell von zwei der besten Mannschaften der Bundesligasaison vor 74.500 Zuschauern im Berliner Olympiastadion. Alles schien bereit für ein Spektakel, eine Demonstration großen und packenden Fußballs. Doch wäre jemand unversehens in die zweite Halbzeit der Partie zwischen Hertha BSC und Schalke 04 geplatzt, er hätte sich verdutzt die Augen gerieben. Behäbiges Ballgeschiebe von links nach rechts, rechts nach links, zaghaft nach vorn und schnell wieder zurück auf Berliner Seite; alibihaftes und ambitionsloses Hin- und Herlaufen bei den Schalkern. „Es ist schwierig“, sagte deren Trainer Ralf Rangnick nach der 1:4-Niederlage seines Teams, „eine normale Analyse über ein Spiel abzugeben, das nach dem 3:1 Freundschaftsspielcharakter hatte“.

Das 3:1 für Hertha hatte Nando Rafael in der 50. Minute erzielt, gelaufen war die Partie aber längst vorher. Genauer gesagt, in der 23. Minute, als sich der Schalker Christian Poulsen auf selten dämliche Weise die zweite gelbe Karte binnen vier Minuten einhandelte und vom Feld musste. Da stand es zwar noch 1:1, doch mit dem frühen Abgang des Dänen wich sämtliche Moral aus den Gemütern der Gäste und alle Kraft aus ihren Beinen. Keine Sekunde lang schienen sie daran zu glauben, in Unterzahl gegen eine Hertha bestehen zu können, die als einzige jener Mannschaften, die hinter den Bayern um den millionenträchtigen zweiten Tabellenplatz kämpfen, derzeit strotzt vor Selbstbewusstsein und Erfolgshunger.

Geradezu verzweifelt klangen hinterher die Beschwörungen Rangnicks. Sein Team könne immer noch aus eigener Kraft Zweiter werden, „wenn wir alle vier Spiele gewinnen, können die anderen machen, was sie wollen“. Gleichzeitig räumte der Trainer ein, es spiele sicherlich eine Rolle, dass vor gar nicht langer Zeit in Schalke „alle noch von der Meisterschaft träumten“. Die Apathie, mit der sich die Mannschaft gegen Hertha frühzeitig ihrem Schicksal ergab, lässt vermuten, dass der Schock über den plötzlichen Absturz weit tiefer sitzt, als es Ralf Rangnick wahrhaben will.

Während seine Spieler so deprimiert in die Kabine schlichen, als seien sie gerade abgestiegen, mochten die Berliner die Stätte ihres Triumphes gar nicht verlassen. Arm in Arm hüpften sie vor der Fankurve herum, Rafael und Marcelinho ließen sich gar zu ausgelassenen Solotänzchen hinreißen, obwohl der lebensfrohe Brasilianer doch versprochen hatte, dem Samba künftig etwas zurückhaltender zu frönen. Nur noch drei Punkte beträgt der Rückstand der Berliner auf Schalke, und bei Hertha lässt niemand mehr einen Zweifel daran, dass das Ziel nunmehr Platz zwei und die direkte Qualifikation für die Champions League ist. „So nah waren wir in meinen vier Jahren hier noch nie dran“, sagte Marcelinho. „Spielerisch“ sei das die beste Hertha in seiner Amtszeit, schwelgte Manager Dieter Hoeneß. „Was Marcelinho und Bastürk gespielt haben, war vom Feinsten.“

Dabei ist es ein durchaus merkwürdiges System, mit dem die Berliner ihre Erfolge feiern. Weit entfernt vom Tempofußball der europäischen Spitzenteams, bei denen fast jeder Spieler in der Lage ist, gefährliche Angriffe einzuleiten, befleißigt sich Hertha einer Art Triangle-Offense, wie sie der Basketball-Coach Phil Jackson bei Michael Jordans Chicago Bulls und den Los Angeles Lakers erfolgreich praktizierte. Geduldig wird der Ball unter Vermeidung jeglichen Risikos in der eigenen Hälfte umher gepasst, gern auch mal zurück zum Torwart, bis sich die Möglichkeit ergibt, ihn Marcelinho oder Bastürk zu geben. Diese inszenieren dann den eigentlichen Angriff. Ein System, das Ballverluste minimiert, weil nur diejenigen Risiken eingehen, die es auch können. Vervollständigt wird das Dreieck entweder vom laufstarken Gilberto auf der linken Seite oder von Rafael im Sturmzentrum. Dieses Zusammenspiel genügt in der Regel, um eine Reihe von Torchancen zu erarbeiten, gegen Schalke führte es zu drei wunderbar und demokratisch herausgespielten Treffern. Rafael-Marcelinho-Bastürk: 1:0. Marcelinho-Bastürk-Rafael: 3:1. Bastürk-Rafael-Marcelinho: 4:1.

Nach den Erfolgen gegen die „Top-Five-Teams“ Bremen und Schalke, so Trainer Falko Götz, sei es nun wichtig, „die Gier zu behalten gegen Gegner, die unter uns stehen“. Sollte das gelingen, ist es allemal wahrscheinlicher, dass Hertha seine restlichen vier Spiele gewinnt, als dass dies Ralf Rangnick und seinen mutlosen Schalkern glückt.

Hertha BSC: Fiedler - Friedrich, van Burik, Simunic, Fathi - Kovac (59. Dardai) - Marx (74. Neuendorf), Bastürk, Gilberto - Marcelinho - Rafael (84. Reina) Schalke 04: Rost - Oude Kamphuis (76. Delura), Waldoch, Krstajic, Kobiaschwili - Vermant, Poulsen - Lincoln - Asamoah (63. Altintop), Sand, Ailton (63. Rodriguez)Zuschauer: 74.500; Tore: 1:0 Bastürk (4.), 1:1 Sand (17.), 2:1 Marcelinho (35., Foulelfmeter), 3:1 Rafael (50.), 4:1 Marcelinho (58.) Gelb-rote Karte: Poulsen (23.)