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: Verstehen statt abwenden

„Auschwitz“. 1. Teil: „Die ersten Opfer“, 23.00 Uhr, NDR

Schuldgefühle? Der SS-Mann Oskar Groening hat keine, er sitzt hochbetagt inmitten seines gemütlichen, bürgerlichen Wohnzimmers vor einem Strauß Blumen und sagt: „Jeder Mensch hat die Freiheit, das Beste aus der Situation zu machen, in der er lebt“. Groening hat den Holocaust überlebt, weil der zu den Tätern gehörte, er ist einer von über 100 interviewten Zeitzeugen, die in der sechsteiligen BBC-Dokumentation „Auschwitz“ zu Wort kommen. Anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslagers zeigt der NDR ab heute die deutsche Fassung dieser anspruchsvollen Produktion, in der mit Hilfe der Erinnerungen von Opfern und Tätern, Archivaufnahmen und (leider auch) Spielszenen die Geschichte der „Todesfabrik“ erzählt wird.

Der renommierte Autor Laurence Rees, Kreativdirektor von BBC History, hat sich unter anderem von Sir Ian Kershaw beraten lassen, der seine berühmte Hitler-Biografie unter dem Leitthema „dem Führer entgegenarbeiten“ verfasst hatte: Die Dokumentation konzentriert sich dementsprechend auch auf die Täter, versucht der Frage nachzugehen, warum diese so handelten, wie sie es getan haben. Es gibt kein von Hitler unterzeichnetes Dokument, in dem er die Ermordung der Juden anordnet und dennoch gab es genug Heinrich Himmlers und Rudolf Höß’, die dem „Führer“ in vorausseilendem Gehorsam entgegenarbeiteten, Lager errichteten und immer „effizientere“ Tötungsmethoden entwickelten – unter anderem, weil die konventionellen Massenerschießungen auf Dauer zu „belastend“ für die SS-Mannschaften waren.

„Auschwitz“ erzählt die Geschichte des Lagers von dessen Entstehung als KZ für polnische, politische Gefangene über den Ausbau als Vernichtungslager, in dem über eine Million Menschen ermordet wurden, bis hin zur Befreiung durch die Rote Armee. Die Doku erklärt noch einmal den Zusammenhang zwischen den wirtschaftlichen Interessen der IG Farben und dem Ausbau des Lagers, versucht, den Alltag der Häftlinge darzustellen.

Alles in allem eine sehr wichtige Dokumentation, gerade in einer Zeit, in der die letzten Zeitzeugen allmählich die Augen schließen.

MARTIN REICHERT