Todeskrieger mit Todesangst

US-ARMEE Eine neue Studie zeigt, dass Soldaten mit PTBS überdurchschnittlich häufig kriminell werden, wenn sie wieder im Alltag zurechtkommen müssen

Veteranenvereinigungen und Ärzte kritisieren schon seit dem Vietnamkrieg die Vernachlässigung der Betreuung traumatisierter Soldaten

Für die US-Öffentlichkeit war es eine herbe Erinnerung daran, dass der Krieg, egal wie fern er auch stattfindet, bis nach Hause reichen kann. Am Mittwoch befasste sich das Gericht in Colorado Springs mit einer Serie von 11 brutalen Morden, die zwischen 2005 und 2008 im US-Bundesstaat Colorado von mindestens zehn US-Veteranen begangen worden sein sollen. Das Gericht ordnete umgehend und vorbeugend die Einrichtung eines Spezialgerichts für traumatisierte Soldaten an, denen geringere Verbrechen als Mord vorgeworfen werden. Ähnliche Institutionen arbeiten bereits erfolgreich in anderen US-Bundesstaaten. Sie helfen, schwere Verbrechen zu verhindern, und sensibilisieren die Öffentlichkeit für die psychischen Probleme von Kriegsheimkehrern. Auf die schiefe Bahn geratene Veteranen bekommen vom Gericht mildere Strafen angeboten, wenn sie in eine Therapie einwilligen.

Die Mordserie in Colorado, einer idyllischen Bergregion, ist nur das jüngste in einer beachtlichen Zahl von Verbrechen, die US-Militärangehörige nach der Heimkehr von Kampfeinsätzen verübt haben. Bei vielen Prügeleien, Vergewaltigungen und Morden wird von unerkannter oder unbehandelter posttraumatic stress disorder (auf Deutsch: posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS) ausgegangen. US-Veteranenvereinigungen, Ärzte und Psychologen kritisieren schon seit dem Vietnamkrieg die Vernachlässigung der Betreuung von durch Kampfeinsätze traumatisierten Soldaten. Ärztevereinigungen schätzen, dass jährlich ca. 3,6 Prozent alle Erwachsenen in den USA an PTBS erkranken – das neben Krieg auch durch Unfälle oder Naturkatastrophen ausgelöst werden kann.

Insbesondere die säbelrasselnde Administration von Präsident George W. Bush stellte sich regelmäßig taub, wenn es um die Budgetierung der Behandlung von US-Kampfsoldaten und die amtliche Anerkennung ihrer Probleme ging. Präsident Barack Obama hat Besserung gelobt. Doch die Aufgabe ist gewaltig, teuer und erfordert eine tabufreie Debatte darüber, was und wie verbreitet PTBS ist.

Zu mehr Offenheit rang sich Mitte Juli die US-Armee durch. Sie veröffentlichte Ermittlungen zu den elf Morden im Umfeld von Fort Carson, Colorado. Die zehn Angeklagten, die alle zuvor im Irak gekämpft hatten, gehörten zu einem Bataillon der vierten Brigade der vierten Infanteriedivision. Alle waren sehr jung, und keiner war zuvor kriminell gewesen, aber sie nannten sich stolz die „Todeskrieger“.

In den USA dienen rund 1,4 Millionen Soldaten, Frauen wie Männer, davon rund 142.000 im Irak und knapp 60.000 in Afghanistan. Etwa 20 Prozent der männlichen Kampfsoldaten – Frauen dürfen nicht im Kampf eingesetzt werden – kommen psychisch verwundet aus den Kampfgebieten. Das ergab eine Studie, die die Washington Post im Mai veröffentlichte. Schon lange anerkannt in den USA ist, dass Kampferfahrungen schwere Depressionen, Angstzustände und zermürbende Stresszustände hervorrufen können. Neu ist, dass die Studie ohne Umschweife klarmacht, dass die an PTBS leidenden Soldaten überdurchschnittlich häufig kriminell werden, sobald sie wieder im US-amerikanischen Alltag angekommen sind.

Angeklagte Soldaten berichteten regelmäßig von der laxen Disziplin im Kampfgebiet. So gestanden einige US-Soldaten, im Irak nach dem Lustprinzip Zivilisten, darunter Jugendliche und Kinder, misshandelt, vergewaltigt, gequält und getötet zu haben. Drogenmissbrauch und eine nicht besonders an Aufklärung interessierte Armeeführung begünstigten die Situation.

Zwar erhält jeder US-Soldat, der in den Krieg geschickt wird, Informationen über die möglichen Folgen des Kampfs, doch wenn die Truppen zurückkehren, werden mentale Beschwerden nicht selten heruntergespielt oder pseudobehandelt, kritisiert die Veteranenorganisation SoldierCare. Das US-Veteranenministerium bietet landesweit bereits über 100 PTBS-Behandlungsprogramme an, mehr als je zuvor. Doch ist es auch in den USA oft genug die Angst vor Stigmatisierung oder die Hilflosigkeit gegenüber dem bürokratischen Kraken der Veteranenverwaltung, die Betroffene den Mut verlieren lässt, Hilfe zu suchen. ADRIENNE WOLTERSDORF