WAS BISHER GESCHAH (1)
: Der Präsident und die Jury

Von Jake Gyllenhaal sollte ich unbedingt ein Autogramm mit nach Hause bringen. Ich habe aber keins bekommen, zu viele aufgeregte Kameramänner trennten mich von dem Hollywoodstar. Na ja, und dann sah er zwar hübsch aus, wirkte vor allem aber linkisch.

Wobei die erste Frage auch tatsächlich gemein war. „Nun gut, Sie haben ‚Brokeback Mountain‘ gemacht, aber müssen Sie sich sonst als Mainstreamstar in dieser Jury nicht als fünftes Rad am Wagen fühlen“, wurde Gyllenhaal gleich als Erstes gefragt. An Gyllenhaals statt antwortete Mike Leigh, der Präsident der Jury. Er sagte etwas davon, dass die ganze Jury natürlich weltoffen und aufgeschlossen sei, was selbstverständlich auch Jake Gyllenhaal einschließe. Der beschränkte sich dann darauf, alles immer exakt genauso zu finden wie sein Jurypräsident. Vielleicht war er noch im Jetlag.

Die Vorstellung der Jury am Donnerstag ist einer der obligatorischen Starttermine jeder Berlinale. Im Gegensatz zu Gyllenhaal meisterte Mike Leigh seinen Part bravourös. Der große britische Filmregisseur charmierte mit feiner Ironie Berlinalechef Dieter Kosslick: „Ein großartiger Gastgeber und lustiger Kerl“, in einem Arbeitszeugnis wäre das nicht nur eine Empfehlung. Und sogar dem Winterwetter trotzte Leigh etwas Positives ab: „Das eint die Leute.“

Ästhetische Kampfansage

Nebenbei schlug er inhaltliche Pflöcke ein. Auf die Frage, wie die Krisen in der Welt die Jury beeinflusse, sagte er: „Ich denke, es ist unmöglich für jeden Einzelnen von uns in der Jury, irgendeinen Film zu beurteilen, ohne ihn politisch, sozial und gesellschaftlich zu verorten.“ Aber er betonte auch: „Zugleich muss man an jedem Film selbstverständlich das Besondere und Ästhetische wahrnehmen.“ Das Ästhetische will er sich also nicht nehmen lassen. Im Gegenteil. Gegenüber dem Mainstreamkino formulierte Mike Leigh freundlich vorgetragene Kampfansagen. Er sei „optimistisch, dass der gigantische Einfluss Hollywoods auf das Weltkino gerade etwas nachlassen könnte“, sagte er. In einer Ansprache hinter den Kulissen hat er seine Jurykollegen, wie Jurymitglied Barbara Sukowa ausplauderte, schon darauf geeicht, auf jeden Fall vorurteilsfrei an die Wettbewerbsfilme heranzugehen. Keine Frage, Mike Leigh hat sich etwas vorgenommen.

Die politischen Fragen richteten sich vor allem an den iranischen Filmemacher Asghar Farhadi, der 2011 für „Nader und Simin“ den Goldenen Löwen bekommen hatte, und an den algerischen Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2011, Boualem Sansal. Der in Algerien politisch verfolgte Sansal: „Durch den Friedenspreis bin ich meinem Land sichtbarer und daher sicherer.“ Seine Mitarbeit in der Berlinale-Jury könnte den Schutz verstärken. Die anderen Jury-Mitglieder blieben blass, Charlotte Gainsbourg nicht nur in ihren Antworten, sondern auch wortwörtlich. Und die Filmemacher François Ozon und Anton Corbijn wollten Mike Leigh erkennbar nicht die Schau stehlen. Hätten sie auch gar nicht gekonnt, so war der Altmeister in Form.

DIRK KNIPPHALS