Kein Blut am Stadtamtsleiter

BAMBIHAUSEN Die Rehe auf dem SWB-Gelände werden nicht erschossen, sondern sollen „verstänkert“ werden. Der Stadtjäger befürchtet, dass einige jetzt überfahren werden

Neben Kaninchen, Rehen, Tauben und Hasen verirrt sich gelegentlich auch ein Damm- oder, noch seltener, ein Rothirsch in die Stadt. Diese werden wegen der Unfallgefahr ebenso erschossen wie Wildschweine.

Regelmäßig wird der Stadtjägermeister Harro Tempelmann gerufen, weil jemand Marder im Haus hat. Immer häufiger gibt es Probleme mit Waschbären, die noch leichter in Häuser eindringen können als Marder: Vor ein paar Tagen tauchte einer in Habenhausen auf, davor in Grolland. Jäger dürfen diese außerhalb der Jagdreviere nicht schießen. Daher werden sie vertrieben oder gefangen. Und dann in der Falle getötet. eib

VON EIKEN BRUHN

Keinem Reh auf dem Vegesacker SWB-Gelände soll ein Haar gekrümmt werden – darauf einigten sich jetzt der Stadtjägermeister, Vertreter des Stadtamtes und der Polizei. Die Tiere sollen mit für Rehnasen unangenehmen Duftmarken vom Grundstück „verstänkert“ werden. Ein aufwändiges Verfahren: Ein Teil des Zauns muss dafür abgebaut, eine Straße gesperrt werden und Anwohner sollen ihre Hunde im Haus behalten, damit diese die Rehe nicht verscheuchen, sagt der Leiter des Stadtamts, Hans-Jörg Wilkens.

Stadtjägermeister Harro Tempelmann befürchtet dennoch, dass einige Rehe beim Versuch, das Grundstück zu verlassen, unter die Räder kommen werden, da die Straßen nicht die ganze Zeit gesperrt sein können. Gezielt heraustreiben könne man die Rehe nämlich nicht. „Die geraten sofort in Panik, da geht dann nichts mehr.“

Endgültig vom Tisch ist der ursprüngliche Plan, die vier Rehböcke zu erschießen, um auf diese Weise die Population im Rahmen zu halten. Gegen dieses Vorhaben hatten Anwohner und die örtliche CDU protestiert und damit das Stadtamt veranlasst, die bereits erteilte Abschussgenehmigung wieder zurückzuziehen.

Und die SWB, die den Schieß-Antrag gestellt hatte? Die war bei dem Treffen nicht dabei und hat auch gar nichts mehr gegen die Rehe. „Die können erst einmal bleiben“, sagt Unternehmenssprecher Christoph Brinkmann. Da sich die Annahme, es handle sich um ein Wasserschutzgebiet, als falsch herausgestellt habe, bestehe aus Sicht der SWB kein Grund mehr, die Rehe zu vertreiben. „Wir machen jetzt erst einmal den Zaun höher“, sagt Brinkmann. Anwohner hätten nämlich beobachtet, dass die Rehe derzeit ein- und ausgehen, „wir wissen deshalb auch gar nicht, wie viele sich dort noch aufhalten“. Zuletzt waren zwölf gezählt worden, darunter drei Böcke. Sollte sich die Gruppe stark vermehren, müsste man die Tiere aber doch noch vertreiben, so Brinkmann. Als Grund nennt er drohende Revierstreitigkeiten: „Am Ende werden wir verantwortlich gemacht, wenn die sich gegenseitig verletzen.“ Doch das eigentliche Problem ist laut Tempelmann ein anderes: Futtermangel, vor allem im Winter.

Damit ist zumindest der Vegesacker Reh-Streit beendet und kein Stadtamtsleiter muss vor laufender Kamera Kindern erklären, warum Bambi sterben musste. Bürgerinitiativen hätten trotzdem noch viel zu tun. Beispielsweise könnten sie sich für Vögel vor die Flinte werfen: Tauben und Enten – das sind die Tiere, die in Bremen am stärksten bejagt werden. 1.197 Stockenten mussten in der vergangenen Jagdsaison dran glauben sowie 767 Tauben. Ringeltauben wohlgemerkt, denn die gemeine Stadttaube hält sich vorzugsweise dort auf, wo nicht geschossen werden darf: In der Innenstadt.

Weitere Schießobjekte sind in Bremen nach Auskunft des ehrenamtlichen Stadtjägermeisters Tempelmann Fasane, Gänse, Hasen und eben Rehe. Überwiegend sind diese am Stadtrand zu finden, doch die letzten beiden Arten kommen auch im großen innerstädtischen Jagdgebiet, dem Bürgerpark, in verhältnismäßig großer Zahl vor.

Vierzig bis sechzig Hasen hat der Jäger Roland Pischel dort in seinem Revier, doch schießen mag er sie nicht. „Warum denn?“, fragt Pischel, „die schaden doch niemand.“ Von den 20 bis 30 Rehen im Bürgerpark, und mehr noch im Stadtwald, hingegen stehen auch in diesem Jahr wieder ein paar auf der Abschussliste. Das sei notwendig, erklärt Pischel, um Verkehrsunfällen vorzubeugen. Werde nämlich das Revier zu eng, würden die unterlegenen Tiere den Park verlassen – gerne über die Parkallee. Insgesamt starben in der vergangenen Jagdsaison 385 Rehe – 166 davon wurden nicht von Jägern, sondern vermutlich von Autos erlegt.

Im Bürgerpark hat Jäger Pischel weniger Probleme mit Anwohnern, die sich um Rehe sorgen, als mit Hundebesitzern. Seit 30 Jahren jagt er in dem Revier, frühmorgens, bevor die ersten Jogger kommen. Verändert hat sich in dieser Zeit vor allem eins: „Die Menschen werden immer aggressiver. Wenn ich sie bitte, ihren Hund anzuleinen, die beschimpfen mich mit Worten, die mag ich gar nicht wiedergeben.“