„Es kommt zunehmend Wut auf“

Die Behörden sind mit der Umsetzung von Hartz IV weiter heillos überfordert, sagt Bernd Mombauer vom Kölner Arbeitslosenzentrum. Bei den Betroffenen wüchsen daher die Angst und der Unmut

INTERVIEW SEBASTIAN SEDLMAYR

taz: Herr Mombauer, Ihre Bilanz „111 Tage Hartz IV“ lautet „Kein Grund zum Feiern“. Was läuft auch im vierten Monat nach der Reform noch schief?

Bernd Mombauer: Im Monatsrhythmus tauchen neue Probleme auf. Im Januar hatten wir mit der Auszahlung zu kämpfen. Im Februar sorgten neue Formulare für Verwirrung bei den Antragstellern von Arbeitslosengeld II. Die wurden zum Teil an die falschen Adressaten, zum Teil mehrfach versandt. Es gab 16-Jährige in Schulausbildung, die diese Bögen bekamen. Danach ging an zahlreiche Arbeitslose die Aufforderung, sich mit externen Dienstleistern in Verbindung zu setzen. Diese Aufforderung war mit zwei Seiten Rechtsbelehrung versehen. Das sorgte natürlich wieder für erheblichen Beratungsbedarf. Grundlegend gleich geblieben ist, dass die Arbeitsgemeinschaft Köln mit der Umsetzung von Hartz IV überfordert ist.

Haben sich diese Probleme addiert, oder sind sie nach und nach abgearbeitet worden?

Wir können nicht genau sagen, ob sie abgearbeitet sind. Aber man merkt an der Heftigkeit der Reaktion, wenn ein solches Problem akut wird. Und diese heftigen Reaktionen kommen seit der Einführung der Hartz-Gesetze in Wellen. Jüngstes Beispiel: Letzte Woche habe ich ein Anschreiben von einem Beschäftigungsträger gesehen, das einem Arbeitslosen suggeriert, er müsse mit Sanktionen rechnen, wenn er einen Termin bei dem Träger nicht wahrnimmt. Da bewegt sich der Träger rechtlich auf sehr dünnem Eis. Es kann übrigens auch nicht sein, dass die Träger über die Vergabe von Maßnahmen mitentscheiden, die sie dann selbst umsetzen. Da kommt es zu Interessenkonflikten.

Wer sind diese Träger?

Vorwiegend handelt es sich um das Konsortium Köln Arbeit. Das besteht aus „Zug um Zug“, „Eva“, „Internationalem Bund“ und der „Jugendhilfe Köln“.

Wie viele Anfragen für Beratungen hat das KALZ zurzeit?

Wir vergeben nur noch vier Wochen im voraus Termine. Der nächstmögliche Termin wäre also der 27. Mai. Wir haben mindestens zwanzig Anrufe pro Tag mit dem Satz „Ich habe da mal ‘ne kurze Frage“. Vor der offenen Beratung am Mittwoch stehen die Leute um halb sieben Uhr vor der Tür, damit sie um acht Uhr drankommen. Im vergangenen Jahr hatten wir 2.500 Beratungen plus etwa 700 Beratungen in öffentlichen Veranstaltungen.

Was raten Sie akut Hilfsbedürftigen?

Wenn man die Hartz-Gesetze ernst nimmt, dann darf nicht nur das „Fordern“ im Vordergrund stehen. Das „Fördern“ muss gleichberechtigt daneben stehen. Doch leider ist das überhaupt nicht der Fall. Deshalb raten wir den Leuten: Fordert euch das Fördern ein! Wesentlicher Aspekt ist eine schriftliche „Eingliederungsvereinbarung“ zwischen Arbeitsagentur und Arbeitslosem. Die Ein-Euro-Jobs sind dabei ganz klar das allerletzte Mittel. Wir befürchten, dass die Eingliederungsvereinbarungen nicht gemacht werden und damit die Chancen auf eine echte Integration verbaut werden.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Einem Langzeitarbeitslosen wird von seinem Fallmanager eine Beschäftigung im Konsortium Köln im Bereich Verwaltung angeboten. Der Arbeitslose stimmt zu, weil er mal in der Verwaltung eine Ausbildung gemacht hat. Beim Konsortium wird er aber in einem ganz anderen Bereich eingesetzt. Dann sollte derjenige darauf beharren, dass er wie vereinbart eingesetzt wird. Das geht aber nur, wenn die Eingliederung schriftlich fixiert ist.

Insgesamt hat es weniger Aufruhr gegeben als erwartet. Woran mag das liegen?

Im vergangenen Jahr waren die Montagsdemonstrationen sehr stark. Warum die nicht wieder Zulauf gewinnen, vermag ich nicht zu sagen. Mir fällt auf, dass die Beratung Suchenden sehr ängstlich sind. Es kommt aber auch zunehmend Wut auf. Der Beratungsbedarf wird immer fordernder und dringender angemeldet. Außerdem sind mehr Menschen bereit, ihre Probleme öffentlich zu machen. Die Scham lässt nach, weil man merkt, dass auch viele andere betroffen sind.

Bislang scheinen auch die befürchteten Massenumzüge ausgeblieben zu sein.

Die Gefahr ist in Köln längst nicht vom Tisch. Städte wie Düsseldorf haben Bestandsmieten vereinbart, weil klar ist, dass man mit der Mietobergrenze von knapp 300 Euro keine Wohnung in der Stadt bezahlen kann. Da werden 418 Euro für eine Person als angemessen festgelegt. Damit soll einer Ghettoisierung vorgebeugt werden. Das wäre für Köln ein Vorbild.