In den Staub geschrieben

SLOGANS Mit gewandter Leichtigkeit bringt die Künstlerin Maja Bajevic die turbulente Weltgeschichte zur Aufführung

Die Fensterscheiben werden eingestaubt, beschrieben und wieder abgewischt. Und wieder von vorne

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Eine unreine Fensterscheibe wird oft als Aufruf zu einer Kritzelei angesehen, um einen Spruch zu hinterlassen, der sich leicht in den Staub malen lässt. Exzessiv wird diese Form der temporären Meinungsäußerung nun auf der breiten Fensterfront der daadgalerie betrieben. Sie ist übersät mit Slogans unterschiedlicher Art und Herkunft. Ein kleines Team bearbeitet emsig das Aussehen dieser Scheiben. Sie werden eingestaubt, beschrieben und wieder abgewischt. Es gibt einen Schnitt, das Bild wandelt sich, und nach dem Losverfahren inszeniert sich langsam die nächste Runde historischer und zeitgenössischer Sprüche.

Sie bilden den Ausgangspunkt für Maja Bajevic’ Ausstellung „To Be Continued“, in deren Zentrum ein aufwendig recherchiertes Slogan-Archiv der vergangenen 100 Jahre steht. In derzeit 149 Einträgen analysiert Bajevic die Massenmedien hintergründig fundiert und wählt parallel dazu faszinierend spielerische Formen der Auseinandersetzung.

Ein breites Spektrum

Ein Interesse an Leitsätzen besitzt Bajevic schon lange. „Bereits 2001 habe ich eine Arbeit gemacht, die hieß „Women at Work – Washing Up“. Darin beschäftigte ich mich mit der Geschichte von Exjugoslawien und mit den Slogans von Tito. Dann bin ich zehn Jahre später zu dieser Thematik zurückgekehrt und habe sie auf die ganze Welt erweitert.“

Maja Bajevic, die 1967 in Sarajevo geboren wurde, hält es für wichtig, Inhalte auch global zu sehen. „Wenn ich über Krieg sprach, dachte ich immer, dass ich nicht nur über den Krieg in Exjugoslawien spreche, sondern über Krieg generell. Aber sobald man ein geografisches Indiz gibt, bleibt die Arbeit in dieser Schublade. Mir war es in dieser Schublade ein bisschen eng.“ Vor allem „Double Bubble“ (2001) oder „Avanti Popolo“ (2002) waren global gedachte Arbeiten. „Double Bubble“ thematisierte Missinterpretationen von Religionen, und „Avanti Popolo“ stellte patriotische Lieder verschiedener Länder infrage, trotzdem führte ihre Interpretation in die Schublade des Jugoslawienkrieges.

Eine Lesart, die für „To Be Continued“ garantiert nicht funktioniert, wie ein Blick in den Zettelkasten zeigt, den Bajevic aufgestellt hat. Für ihre Sloganauswahl waren zentrale Ereignisse der Weltgeschichte entscheidend. Möglichst objektiv hat sie versucht ein breites Spektrum abzudecken.

So kommen auch Parolen vor, die sie nicht teilt, wie „Freedom of Expression is Western Terrorism“, die aber zur Gesellschaft dazugehören. Das Motto tauchte 2006 bei weltweiten Muslimprotesten auf, die sich gegen die Veröffentlichung von zwölf Comics des Propheten Mohammed richteten. Zu den politischen und ökonomischen Schlagworten zählen auch Slogans von Barbara Krüger, aus Georges Orwells „Animal Farm“ oder dem Film „Cabaret“. Bajevic stellt sie alle auf eine Ebene. Während „Arbeit macht frei“, eine Naziparole, die als Toraufschrift an den nationalsozialistischen Konzentrationslagern traurige Berühmtheit erlangte, Bajevic natürlich sofort zuordnen konnte, wurde sie von anderen Slogans überrascht. „ ‚Women Make up Half of Society‘ hätte ich vielleicht in den 60er/70er Jahren der feministischen Bewegung platziert, aber eigentlich war das 2009 der Slogan der afghanischen Präsidentschaftskandidatin Shahla Atta. Das würde man nicht erwarten. Es hat mich gefreut, auch solche Beispiele zu finden.“

Ein Sisyphuswerk

Neben der Fensterperformance werden die Slogans auf Nebel projiziert und in verschiedenen Soundformaten präsentiert. Die betonte Flüchtigkeit der Darbietungen äußert eine klare Haltung. Sie zeigt die ephemere Beschaffenheit der Slogans, während das Archiv ihre Geschichte festhält. Jedes Motto beansprucht, für sich glaubhaft zu sein, doch selbst wenn es sich als eine Wahrheit etablieren konnte, gilt diese im Laufe der Zeit meist nicht mehr. So kommt die Geschichte dem Sisyphuswerk gleich, das Bajevic mit dem Beschreiben und Wischen der Fenster inszeniert, und die Dampfmaschine erinnert sie daran, was über Politiker im einstigen Jugoslawien gesagt wurde: „Die verkaufen Dampf.“ Sie erzählten zwar nicht unbedingt Lügen, aber auch nicht die Wahrheit.

Ein Wortspiel, das Bajevic hingegen viel sagt, entdeckte sie am 1. Mai 2009 in Kreuzberg: „Soziale Unruhe statt unsoziale Ruhe.“ Es entstand im Zuge der bundesweiten Proteste gegen die Handhabung der Finanzkrise durch die Regierung. Auch von Protestbewegungen wie Occupy Wall Street ist Bajevic begeistert, trotzdem ist für sie ein wenig Zynismus nie fehl am Platz. Vielleicht lässt sie deshalb eine Opernsängerin als Sprachrohr auftreten.

■ Maja Bajević: „To Be Continued“. Bis 18. 2. 2012, daadgalerie, Zimmerstr. 90/91, Mo.–Sa. 11–18 Uhr