So verdammt frei

… und ohne ronjaräubertöchterliche Klischees: „Der Grenzer und das Mädchen“ (20.15 Uhr, ARD)

„Ich komme am Wochenende nach Berlin. Das sind ja nur 16 Stunden“, sagt Grenzschützer Müller, als seine Frau ihm im gottverlassenen Grenzort im Osten Polens den Laufpass gibt und der Zug anruckt. Für solche Sätze möchte man den Schauspieler Axel Prahl immer ganz fest in den Arm nehmen. Prahl ist Müller, der höhere Durchschnittsbeamte, vom Bundesgrenzschutz an die Grenze zur Ukraine abgeordnet.

Dort, wo jetzt die neue Ostgrenze der Europäischen Union verläuft, soll er den polnischen Kollegen West-Standards einpflanzen. Doch das kann er nicht so gut wie das ewig kaugummikauende Alpha-BGS-Tierchen Walther Rathke (Mathias Koerbelin) an seiner Seite. Dieser Rathke gibt in „Der Grenzer und das Mädchen“ ungefähr die Rolle des Visa-Ausschuss-Vorsitzenden Hans-Peter Uhl (CDU), Müller hingegen ist Mensch, ein bisschen bieder, ein bisschen langweilig, ein bisschen traurig. Aber eben Mensch. Und als solcher beamtlich überfordert von der Erkenntnis, dass auch die Schleuser, die nachts unter hohem persönlichen Risiko Menschen aus der Ukraine über die grüne EU-Grenze bringen, Menschen sind. Allen voran Lippa, die junge Frau, die mit ihrer halbschrotten Schwalbe über polnische Feldwege zockelt. Organisierte Kriminalität sieht anders aus.

Doch vor dem Gesetz und dem Schicksal sind alle gleich. Müller und Lippa, die allein mit ihrem mitschleusenden, ewig saufenden Bruder lebt, kommen sich also näher. Dienstlich zunächst, denn Lippa wird gefasst, kann aber fliehen. Auch in Müller überwiegt anfangs der BGSler. Er stellt ihr nach, findet sie – und sich plötzlich mit Wahrheiten konfrontiert, die nicht in den Kopenhagener Vereinbarungen zur Sicherung der EU-Ostgrenze stehen. Die Liebesgeschichte zwischen Lippa und Müller inszeniert Hartmut Schoen bis hin zu der in deutschen Fernsehspielen stets unvermeidlichen Katastrophe so behutsam und in all ihren Widersprüchen so authentisch und schön, dass es fast wehtut.

Nebenbei entdeckt er Margarita Breitkreiz, die hier ihre erste große Fernsehrolle hat. Sie ist, anders als der Filmtitel suggeriert, kein Mädchen, sondern verdammt erwachsen – und bei aller Begrenztheit durch ihre Lebensumstände so verdammt frei, ohne je in ronjaräubertöchterliche Klischees zu verfallen. Auch wenn der Film zwischenzeitlich einen klitzekleinen Hang zur Sozialromantik in sonnenuntergangsdurchfluteter Grenzregion nicht völlig unterdrücken kann, ist der ARD ein so unfreiwilliger wie menschlicher Gegenentwurf in Sachen Visa-TV gelungen. STEFFEN GRIMBERG