Taiwans KMT-Chef auf umstrittener Mission

Oppositionsführer besucht erstmals seit 1949 das chinesische Festland. Für Unabhängigkeitsbefürworter ist das Verrat

PEKING taz ■ Noch in der Taipeher Abflughalle sind ihm Eier und Steine hinterhergeflogen. Doch dann befand sich Taiwans Oppositionschef Lien Chan auf der von ihm selbst angekündigten „Reise des Friedens“. Gestern Nachmittag landete er im ostchinesischen Nanking – als erster Chef der nationalistischen Kuomintang-Partei (KMT), der nach Ende des Bürgerkriegs zwischen Nationalisten und Kommunisten 1949 seinen Fuß auf das chinesische Festland setzte.

Schon der Protest bei der Abreise zeigte, wie sehr Lien die innerchinesischen Verhältnisse durcheinander bringt. Seit der Teilung des Landes gibt es keine direkten Kontakte mehr zwischen Spitzenpolitikern beider Seiten. Nun will Lien am Freitag KP-Generalsekretär Hu Jintao in Peking treffen. Eine solche Begegnung beider Parteichefs fand zuletzt im August 1945 zwischen Guerilla-Führer Mao Tse-tung und Generalissimo Chiang Kai-shek statt. Ihr Scheitern führte zum Bürgerkrieg, der mit Maos Sieg und Chiangs Flucht nach Taiwan endete. Heute aber will Lien einen Mentalitätswandel herbeiführen. „Wir dürfen nicht im Geist der 30er-, 50er- oder 80er-Jahre stecken bleiben“, sagt er. „Beide Seiten können einander helfen und einer friedlichen Zukunft näher kommen.“

Dergleichen schöne Reden wird es in den nächsten Tagen geben. Schon schwelgt die kommunistische Propaganda in Begeisterung über die innerchinesische Annäherung. Auf Taiwan aber titelte die regierungsnahe Taipei Times: „Fortschritt oder Desaster?“ Taiwans Präsident Chen Shui-bian stemmte sich bis zuletzt gegen Liens Reise. Abwertend sprach er als Befürworter taiwanischer Unabhängigkeit von einem „Versöhnungstreffen“ mit den Kommunisten, das „bedeutungslos“ sei, weil nur seine Regierung mit Peking verhandeln könne. Chens Parteifreunde sprachen von Vaterlandsverrat. Bis die US-Regierung ein Machtwort sprach und Lien Unterstützung zusagte. Erst danach kam es zu einer Abstimmung zwischen Chen und Lien.

Was bei dem Besuch herauskommt, entscheidet Peking. Lien sagt, er komme als Privatmann. Seine Regierung droht ihm mit juristischen Konsequenzen, falls er im Alleingang verhandelt. So ist er auf einseitige Zugeständnisse der KP angewiesen. Die Gerüchte reichen bis zum Abbau der auf Taiwan gerichteten chinesischen Raketen. Nachdem Peking kürzlich ein Gesetz verabschiedete, das Taiwan bei einer Unabhängigkeitserklärung mit Krieg droht, wäre das eine Überraschung. GEORG BLUME