Flugblätter gefährlicher als Sprengköpfe

Staatsanwaltschaft veranlasste Hausdurchsuchung bei einem Heidelberger Atomwaffengegner. Dabei wurden 1.800 Aufrufe zum Ungehorsam beschlagnahmt – obwohl das Landgericht das Flugblatt zuvor für legal erklärt hatte

FREIBURG taz ■ „Das ist ein Versuch, mich einzuschüchtern“, protestiert der Heidelberger Atomwaffengegner Hermann Theisen. Bei einer Durchsuchung von Theisens Wohnung ließ die Staatsanwaltschaft Koblenz vorige Woche ein Flugblatt beschlagnahmen, dessen Urheberschaft der Aktivist offen einräumt und das nach Ansicht des Landgerichts Koblenz auch gar nicht strafbar ist.

Konkret geht es um einen Aufruf an die Soldaten des Bundeswehr-Fliegerhorstes Büchel in Rheinland-Pfalz. „Verweigern Sie jegliche Beteiligung an der völkerrechts- und grundgesetzwidrigen nuklearen Teilhabe“, forderte die Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen (GAAA). In Büchel lagern vermutlich elf US-Atomsprengköpfe, die im Ernstfall von der Bundeswehr eingesetzt werden sollen. Der Aufruf wurde vor dem Militärgelände verteilt und auch per Post an Bürger der umliegenden Gemeinden verschickt. Die Staatsanwaltschaft leitete darauf drei Verfahren wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ ein.

Am Freitag durchsuchten zwei Polizisten das Arbeitszimmer Theisens in Heidelberg – „zur Auffindung von Beweismitteln“, wie es im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Heidelberg heißt. Am Ende beschlagnahmten sie 1.800 weitere Exemplare des Aufrufs. „Diese Durchsuchung war völlig unnötig“, sagt Theisen, „ich stehe offen dazu, dass ich den Aufruf geschrieben und verschickt habe, da gibt es nichts zu beweisen.“

Der amtsrichterliche Beschluss stammt vom 15. März. Zwei Wochen später hat das Landgericht Koblenz Theisen in einem der drei anhängigen Verfahren freigesprochen. Der Aufruf sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, so damals die Richterin Andrea Wild-Völpel. „Dass die Aufrufe jetzt trotzdem als Tatmittel eingezogen werden, ist absurd“, kommentiert Theisen.

Erich Jung, der Leiter der Koblenzer Staatsanwaltschaft, sieht das anders. „Wir gehen weiter von einer Straftat aus und haben gegen den Freispruch Revision eingelegt.“ Wenn das Oberlandesgericht den Freispruch bestätige, bekomme Theisen die Flugblätter zurück. Mit der Durchsuchung sollte festgestellt werden, wie viele Aufrufe an wen verschickt wurden.

Theisen will nun die Zulässigkeit der Durchsuchung vor Gericht überprüfen lassen. „In meinen Augen war das völlig unverhältnismäßig“, so der Sozialpädagoge. Auch das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ hat inzwischen gegen die „Schikane“ protestiert.

Während die Polizei bei Theisen nach Flugblättern suchte, brachte die FDP im Bundestag einen durchaus passenden Antrag ein. Die Regierung wird darin aufgefordert, die USA zum Abzug der Atomsprengköpfe zu drängen. Die Liberalen wünschen sich ein positives Signal mit Blick auf die Vertragsstaaten-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag, die im Mai in New York stattfindet.

CHRISTIAN RATH