Endlösung der Kapitalfrage

Die SPD berauscht sich immer stärker an der Wirtschaftsschelte ihres Vorsitzenden: Auch illegale Arbeiter sind jetzt der Feind. Kann Franz Müntefering die Geister, die er rief, auch wieder einfangen?

VON ROBIN ALEXANDER

Mit leicht erhobener Faust kam Gerhard Schröder am Montag in die SPD-Präsidiumssitzung und rief: „Kampf dem Monopolkapital“ in die Runde. Die versammelten Spitzengenossen feixten kurz, dann wurde die Tagesordnung eröffnet. Diese Anekdote wurde am Dienstag kolportiert und erschien Mittwoch gedruckt. Sie illustriert, mit welcher Ernsthaftigkeit die große linke Volkspartei die so genannte Kapitalismuskritik betreibt, für die ihr Vorsitzender Franz Müntefering vor gut zwei Wochen den Startschuss gab.

Dennoch: Der Antikapitalismus à la Münte lohnt die Betrachtung – gerade für Linke. Die Vorstellung, die Beschimpfung des „internationalen Kapitals“ im Allgemeinen und einzelner Vorstandschef im besonderen könne in irgendeiner Form zu realen Veränderungen im Wirtschaftsleben führen, hegt niemand wirklich. Auch die entschlossensten SPD-Kapitalismuskritiker erhoffen sich von der Debatte bestenfalls einen neuen Schub für alte Forderungen wie einen Mindestlohn, eine Mindestbesteuerung von Unternehmen oder die Bürgerversicherung. Für diese Konzepte gibt es gute Argumente, die mit Antikapitalismus allerdings nichts zu tun haben – und in der aktuellen Debatte keine Rolle spielen.

Absehbar ist der Verlauf des neuen antikapitalistischen Diskurses. Bis zur Landtagswahl in NRW am 22. Mai wird weiter gegen Kapital und Bosse geholzt, dann wird die Debatte behutsam zurückgeleitet in die bundesrepublikanische Normalität. Die ideologische Vokabel „Kapitalismus“ wird dann ersetzt durch den politischeren Begriff „Soziale Marktwirtschaft“. Die ist kein Synonym für das Böse, sondern hat ein paar Jahrzehnte ganz gut funktioniert und muss nun „weiterentwickelt“ werden. Diese „Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft“ (klingt doch schon fast wieder nach dem Pfui-Wort „Reform“) bespricht die SPD auf einem Kongress am 13. Juni. Der wird vorbereitet von Ludwig Stiegler. Der bayerische Abgeordnete und Vizechef seiner Fraktion hat einige Erfahrung darin, Regierungspolitik im roten Pullunder zu verkaufen.

Neben Motivation und Timing ist vor allem die Art der neuen sozialdemokratischen Kapitalismuskritik interessant: Wirtschaftliche Zusammenhänge gelten als kompliziert und werden daher dem Publikum traditionell in Bildern aus seiner Lebenswelt angeboten. Meist sagt das Bild weniger über seinen Gegenstand als über seinen Erschaffer aus. So offenbart Horst Köhlers „Vorfahrt für Arbeitsplätze!“ den selbst ernannten Reformer und Weltkenner als klassisch deutschen ADAC-Konservativen: Ob Frosch, ob Radfahrer, was stört, muss unserer Autobahn weichen. Die Vorfahrt des Bundespräsidenten bewegt sich so – ähnlich dem „Ruck!“ seines Vorvorgängers Herzog – im Normalkorridor der Vereinfachung, die eine Demokratie aushält.

Ganz anders sieht es aus mit den Bildern, die Sozialdemokraten in den vergangenen Wochen auf die Deutschen losließen: Da sind zuerst die „Heuschrecken“ des Franz Müntefering: Wie Insekten fallen demnach Finanzinvestoren über deutsche Unternehmen her. Das Bild stammt aus der Bibel, steht in Deutschland aber in einem anderen Kontext: Tiermetaphorik – hier: Ungeziefermetaphorik – ist nach Joseph Goebbels aus unserem politischen Vokabular verbannt worden. Auch Metaphern haben ihre Geschichte: Wer von Menschen als Ungeziefer spricht, denkt ihre Vertilgung mit, haben wir im Deutschunterricht gelernt. Oder gilt das nur für Franz-Josef Strauß’ „Ratten und Schmeißfliegen“ und nicht für Münteferings „Heuschrecken“?

Ein weiteres, bemerkenswertes Bild brachten gleich mehrere Sozialdemokraten des Seeheimer Kreises in den Diskurs: Die Unternehmer als „unpatriotische Bande“. Das ist ein weiteres, klassisch faschistoides Bild: der Gangster, der sich benimmt wie die Amis in Chicago.

Diese Art von Kapitalismuskritik ist keine, sondern ihr genaues Gegenteil. Wird das Wirtschaftssystem doch als eigentlich gesund angesehen, nur durch das Fehlverhalten Einzelner pervertiert. Es geht also nicht darum, nachzudenken, wie Menschen intelligenter und gerechter wirtschaften können. Sondern darum, Gangstern auf die Finger zu hauen.

Da der internationale Finanzinvestor sich eben nicht kriminell bereichert, sondern normalerweise an die Regeln hält, fällt das Auf-die-Finger-Hauen schwer. Meist erwischt man nur die kleinen: illegale Ungarn auf deutschen Schlachthöfen, denen Müntefering gestern im Bild-Interview schon mal „ alle Härte“ des Staates androhte. Eine Linke, die Hoffnungen in diese Art der Kapitalismuskritik setzt, muss schon sehr verzweifelt sein.