Wie wir leben wollen

KREATIVWIRTSCHAFT Der Kongress „Work in Progress“ befasst sich heute und morgen auf Kampnagel in Vorträgen, Diskussionen und Workshops mit der neuen Arbeitswelt

Kreativarbeiter testen Modelle und entwickeln Ideen für einen anderen Arbeitsmarkt

VON ANNIKA STENZEL

Ihre Werkzeuge sind der Computer und das Smartphone, ihr Büro das Café nebenan oder die Betalounge. Sie sind Webdesigner, Journalisten und arbeiten an Projekten. Sie sprechen über Crowfunding und Open Source. Sie sind meist gut ausgebildet, aber ohne feste Anstellung. Sie müssen flexibel sein, sich selbst organisieren. Man nennt sie Kreativarbeiter.

Verändert hat sich durch den Wandel zur Wissens- und Informationsgesellschaft auch die Arbeit. Der „Nine-to-five-Worker“ ist in vielen Berufsfeldern nicht mehr vorhanden, sondern durch freie, flexible Kräfte ersetzt. „Das Industriezeitalter ist vorbei und wir wollen herausfinden, ob das Modell Kreativwirtschaft für die Zukunft taugt“, sagt Egbert Rühl, Geschäftsführer der Kreativgesellschaft und Veranstalter des Kongresses „Work in Progress“: „Ich wünsche mir Impulse für die Gesamtwirtschaft“.

Denn Kreativarbeiter testen neue Modelle und entwickeln Ideen für einen anderen Arbeitsmarkt. Das geht einher mit einer großen Unsicherheit, denn obwohl viele Kreativarbeiter ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben, wird von ihnen ein hohes Maß an Flexibilität und Selbstausbeutung erwartet. Dennoch ist ihre soziale Absicherung mehr als dürftig. „Noch haben Kreativarbeiter keine Interessenvertretung, denn für diese Gruppe gibt es keine eindeutige Klassifizierung, wie sie es bei den klassischen Gewerkschaften gibt“, sagt Rühl. „Jeder hat sein eigenes Profil und es ist schwierig, Gemeinsamkeiten zu finden“.

Doch ist eine solche Interessenvertretung überhaupt gewollt? Gibt es ein Modell, das den Kreativarbeitern eine faire Entlohnung sichert? Stellt die Kreativwirtschaft eine modellhafte Branche dar, die für einen ökonomischen und sozialen Paradigmenwechsel steht? Und überhaupt: Wie wollen wir leben?

Der Kongress „Work in Progress“, der heute und morgen auf Kampnagel stattfindet, stellt diese und viele weitere Fragen. Und sucht nach Antworten. „Wir möchten die Kreativarbeiter zu einer Selbstreflexion einladen und gemeinsam mit ihnen herausfinden, wie sich die Rahmenbedingungen in der Kreativwirtschaft verbessern könnten“, sagt Rühl.

Dafür haben die Kreativgesellschaft Hamburg und die Zeit-Stiftung Wissenschaftler, Künstler, Philosophen, Anwälte, Autoren, Politiker und Menschen aus vielen verschiedenen weiteren Disziplinen eingeladen, um in Workshops, Vorträgen und Diskussionen mit den Kongressteilnehmern über die Kreativwirtschaft zu diskutieren. Sämtliche Themen zwischen Wikinomics, Urheberrecht, Crowdfunding und -Sourcing versucht der Kongress dabei zusammenzufassen. Ein Beispiel: Unter dem Titel „Brave New Work?“ diskutieren am Freitagmittag Professor Axel Haunschild, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover, und der Regisseur, Dramaturg und Theaterwissenschaftler Fabian Lettow, über „Kreativität als wirtschaftliche Ressource“. Wie wirkt denn die Forderung, kreativ zu sein, wenn man sie im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Verwertbarkeit setzt? Warum ist ein differenzierter Blick vonnöten?

Die Antwort darauf soll dabei durchaus Konsequenzen haben. „Ich wünsche mir, dass auf dem Kongress eine Beschäftigung auf theoretischer Ebene über die Kreativwirtschaft stattfindet. Die kann auch kritisch sein“, sagt Rühl. „Toll wäre, wenn Forderungen entstehen würden, an die Verwaltung und die Politik“.

■ Do, 16. 2., Kampnagel, Jarrestraße 20, www.work-in-progress-hamburg.de