Verschlungene Wanderwege

Indigene Völker sollen Blutproben zur Verfügung stellen, damit Genetiker die Besiedlung der Erde durch die Menschheit nachvollziehen können. Vertreter der indigenen Gruppen verweigern jedoch die Zusammenarbeit. Sie rufen zum Boykott auf

VON WOLFGANG LÖHR

Wo liegen die Ursprünge der Menschheit? Auf welchen Pfaden wanderten unserer Vorfahren bei der Besiedlung unseres Planeten? Antworten auf diese bislang weitgehend unbeantworteten Fragen soll ein ehrgeiziges Forschungsvorhaben namens Genographic Project geben, das gemeinsam von der gemeinnützigen Organisation National Geographic Society und dem Computerkonzern IBM Anfang April initiiert wurde. Rund 100.000 Blutproben von möglichst vielen unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen sollen dafür weltweit eingesammelt und mittels einer DNA-Analyse ausgewertet werden. Doch jetzt droht Gefahr für das weltumspannende, 40 Millionen US-Dollar teure Forschungsvorhaben. Mehrere Organisationen, die für die Rechte indigener Völker eintreten, haben zum Boykott des Projekts aufgerufen.

Um die Besiedlung der Erde anhand genetischer Marker nachvollziehen zu können, sind die Forscher vor allem auf Blutproben der indigenen Völker angewiesen. Sie gehen davon aus, dass bei den isoliert lebenden Naturvölkern die Erbsubstanz über die Jahrtausende weitgehend unverändert geblieben ist, sodass die genetische Verwandtschaft zu anderen Völkern aufgezeigt werden kann.

Nach Ansicht der Organisatoren des Genographic Project ist Eile geboten, denn die menschliche Vielfalt ist am Schwinden. Schuld sei nicht nur die Globalisierung, die zunehmend zu einer Vermischung des menschlichen Genpools beitrage, sodass die Wanderungsbewegungen einzelner genetischer Marker nicht mehr nachvollziehbar seien. Auch seien viele kleinere indigene Völker oder Stämme vom Aussterben bedroht, weil sie in ihren Lebensräumen immer mehr eingeengt werden. Je länger man mit dem Einsammeln der Blutproben wartet, umso schwieriger wird der Nachweis sein, woher die für bestimmte Völker charakteristischen Genmarker ursprünglich kommen.

Bei dieser Art der Forschung „handelt es sich um eine moderne Form des Kolonialismus“, sagt Paul Reynolds vom Maori-Forschungszentrum an der neuseeländischen Auckland-Universität. Indigene Völker hätten bereits eine lange von „den Ahnen übermittelte Geschichte ihrer Herkunft. Wir brauchen keine wissenschaftlichen Beweise für unsere Herkunft“, begründete Reynolds seine grundlegende Ablehnung des Projekts gegenüber dem New Zealand Herald. Reynolds ruft alle Maoris auf, die Herausgabe der Blutproben zu verweigern.

Das Genographic Project ist nicht der erste Versuch, eine weltweite DNA-Sammlung der indigenen Völker zusammenzutragen. Vor über zehn Jahren wurde schon einmal ein ähnliches Projekt in Angriff genommen, und zwar unter dem Dach von HUGO, der Human Genom Organisation, die die weltweite Sequenzierung des menschlichen Genoms organisierte. Auch das Human Genom Diversity Project (HGDP) wurde damals damit begründet, man müsse sich beeilen, bevor zu viele der Naturvölker ausgestorben seien.

Diese verweigerten jedoch häufig die Zusammenarbeit. Massive Proteste gegen das von einigen Kritikern als „Vampirprojekt“ bezeichnete HDGP führten schließlich dazu, dass es nicht weiter verfolgt wurde. Selbst bei der Unesco und der US-Forschungsorganisation National Science Foundation wurde seinerzeit Kritik an dem HDGP geäußert. Unter anderem fielen die vom HDGP aufgestellten ethischen Standards durch. So war nicht sichergestellt, dass eine ethisch vertretbare Einwilligung zur Blutabnahme und zu den DNA-Analysen eingeholt werden musste. Zudem wurden mit dem HDGP unter anderem auch medizinische und kommerzielle Ziele verfolgt.

Das sei „bei unserem Projekt ausgeschlossen“, versichert Ajay Royyuru, der bei IBM für das Genprojekt zuständig ist. In die Datenbank würden keine medizinisch nutzbaren Informationen eingegeben.

Für Debra Harry, Direktorin beim Indigenous Peoples Council on Biocolonialismus (IPCB), ist das neue Projekt jedoch nur eine Neuauflage des HDGP. Sie fordert die Einstellung des Forschungsvorhabens. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, ruft der IPCB zum internationalen Boykott gegen die Initiatoren und Geldgeber auf.