Drei Jahrzehnte lang wichtige Stücke

Seit 1976 werden bei den Mülheimer Theatertagen NRW ausgewählte Inszenierungen neuer deutschsprachiger Theatertexte gezeigt. Im Jubiläumsjahr gibts Zoff um den Dramatikerpreis und ein Sonderstück in Buchform

Das Theater war krank, ist krank und wird es immer sein. So wie das Haar des Bundeskanzlers nicht gefärbt sein darf, darf die Wirklichkeit nicht nichtig sein, sie muß, weil wir sonst nichts haben, modisch sein.

Herbert Achternbusch, der diese Zeilen aktuell fürs Jubiläumsbuch der 30. Mülheimer Theatertage verfasst hat, bekam dort zweimal den Dramatikerpreis. Elfriede Jelinek auch. Anno 2004 immerhin noch vor ihrem Literatur-Nobelpreis. Auch sie hat für das gebundene „Sonderstück“, hergestellt von der Theater Heute-Redaktion, einen frischen Text geliefert, wie neun andere der insgesamt 29 Preisträger auch. „Ansonsten hätten wir die Finger davon gelassen“, sagt Sonderstück-Herausgeber Franz Wille, der auch oft im Mülheimer Auswahlgremium saß.

Ein Arbeitsbuch soll es sein, eingeteilt in zwei Blöcken von 15 Jahren. Während der „Stücke 2005“ (13. Mai bis 4. Juni) wird die unerhörte 3.000er Auflage für winzige 12 Euro verkauft, danach kostet es fünf Euros mehr. „MIt Theaterbüchern ist heute kaum Geld zu verdienen“, sagt Wille und hofft wenigstens auf regen Zuspruch, auch wenn nicht alle Preisträger im Buch getextet haben. Einige wie Heiner Müller oder Werner Schwab sind eben verstorben, andere wie George Tabori gesundheitlich nicht mehr in der Lage, sagt Wille. Staatstragende Autoren wie Botho Strauß haben nicht einmal seinen Anfragebrief beantwortet. Auch Theaterautor Rainald Goetz hat eine Ausrede. In einem Anfall hat er 10.000 Seiten Manuskript fürs neue Stück verbrannt. „Warheinlich war darunter auch der Text fürs Sonderstück“, lacht Udo Balzer-Reher, der Leiter der Mülheimer Stücke.

Dennoch ist es ein anregendes Buch mit Jury Schelte von Frauke Meyer-Gosau und einem umfassenden Archiv geworden.

Peter Handke hätte sicher auch gern einen Text geliefert, leider hat er den Dramatikerpreis in Mülheim nie gewonnen. Auch seine diesjährige Teilnahme mit der Wiener Burgtheaterinszenierung von „Untertagblues“ stand unter keinem guten Stern. Der österreichische Autor wird nicht persönlich an den 30. „Stücken“ teilnehmen und stellt sich so auch nicht dem Wettstreit um den Dramatikerpreis. „Das ist ein Vorgang, in dem sich Arroganz und Feigheit mischen“, kritisierte Dietmar N. Schmidt, Sprecher der Auswahljury, diesen Rückzug „aus persönlichen Gründen“. Es gibt in Deutschland kein Gesetz, das eine solche Teilnahme erzwingen kann“, sagt Franz Wille, der wie Udo Balzer-Reher, Handkes Haltung respektiert. Schon einmal hatte jemand die Teilnahme verweigert. Botho Strauß 2002 mit der Begründung, es handle sich bei dem Wettbewerb „um nichts weiter als eine Förderung junger Autoren“. PETER ORTMANN