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DENIZ YÜCEL BESSERDIE PERSONALIE GAUCK ZEIGT, WAS IN DEUTSCHLAND RAUSKOMMT, WENN ALLE EINER MEINUNG SIND: NICHTS GUTESEin Stinkstiefel aus der Zone

DIE FÜNFTAGESVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch

Natalie Tenberg

Habseligkeiten

Donnerstag

Josef Winkler

Wortklauberei

Freitag

David Denk

Fernsehen

Montag

Susanne Klingner

Die Farbe Lila

Dienstag

Julia Seeliger

Alles bio?

Jetzt bekommen die Medien den, den sie vor anderthalb Jahren unbedingt wollten: „Der bessere Präsident“, titelte der Spiegel, „Yes we Gauck“, ergänzte die Bild am Sonntag, und auch in der taz fragten die meisten Kollegen nicht, welcher Teufel Grüne und SPD geritten hatte, diesen eitlen Zonenpfaffen aufzustellen, sondern pikierten sich darüber, dass die Linkspartei nicht mitmachen wollte.

Joachim Gauck zu wählen sei „klug und souverän“, meinte einer, die Linke „sollte diesen Mann verehren“, sagte ein anderer. (Nee, das waren nicht die, die noch vor ein paar Wochen Wulff als Unsrigen herzten, ehe sie ihn als Raffke verabschiedeten; das waren andere.)

Mag Gauck durch seine Wortmeldungen zu Sarrazin (fand er gut) und Occupy (fand er doof) einige Sympathien verloren haben, der „Präsident der Herzen“ ist er geblieben. Als Pfarrer mit Reiseprivilegien begann Gauck dann lautstark zu protestieren, als dies nichts mehr kostete, um sich hernach mit umso größerem denunziatorischen Eifer an die DDR-Geschichte zu machen – freilich nicht aus einem sympathischen Misstrauen gegenüber Geheimdiensten. So meinte er zur Beobachtung der Linkspartei: „Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben.“ In diesem Satz steckt alles, was Gauck an Intellektualität und Freiheitsliebe zu bieten hat.

Dabei hat er sich nicht erst im letzten Jahr ideologisch zwischen Martin Walser, Erika Steinbach und Stefan Effenberg verortet. Ein reaktionärer Stinkstiefel war er schon vorher.

So mag der künftige Präsident keine Stadtviertel mit „allzu vielen Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen“, missbilligt es, „wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird“, und fragt süffisant, „ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen“.

Einem Apparatschik wie Wulff hätte man so was um die Ohren gehauen. Gauck aber kann sich solchen Schmarren erlauben, weil er nicht im Verdacht steht, die Parteiendemokratie zu vertreten, was in Deutschland als löblich gilt. Darum merkt auch kaum jemand, wie viel antidemokratisches Ressentiment im Gerede vom „Konsenskandidaten“ steckt, wie viel von der autoritären Sehnsucht, wenn nicht nach dem Führer, so doch nach dem Kaiser, der mit sonorer Stimme vermeintlich tabubrecherische, in Wahrheit aber gefällige Ansichten zum Besten gibt.

So zeigt die Personalie Gauck, was dabei rauskommt, wenn in diesem Land so gut wie alle einer Meinung sind (und die übrigen aus den falschen, weil ostalgischen Gründen einer anderen): nichts Gutes.

***

Besser: Besser geht’s nicht. Schade ist nur, dass Gauck nicht am Donnerstag auf der Gedenkfeier für die Opfer der Nazimorde in die Bütt gehen wird. Andererseits: Der nächste Dönermord oder eine andere Gelegenheit, um Ausländern die Meinung zu geigen, die Juden in die Schranken zu weisen und klarzustellen, dass Nazis auch nur Sozis sind, findet sich gewiss.

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