piwik no script img

Abwanderung aus der Ekstraklasse

Polens beste Fußballvereine haben sich noch immer nicht vom Zusammenbruch des Sozialismus erholt. Vage hofft die Liga auf einen Aufschwung im Zuge des EU-Beitritts vor einem Jahr. Die besten Kicker wollen nicht so lange warten

POZNAŃ taz ■ Emilia Ganczarz ist 24 Jahre alt, blond und erinnert ein bisschen an Britney Spears. Dass Raúl von Real Madrid ihr Lieblingsspieler ist, mag etwas befremdlich sein, schließlich ist Emilia die amtierende „Miss Lech Poznań“. Doch dann sagt sie, dass sie „natürlich auch Piotr Swierczewski“ von Lech ganz prima finde.

Zum Aushängeschild machen ihn weder viele Tore noch überragende Technik, sondern die Stationen Olympique Marseille und Birmingham City. In Polen gilt Westeuropa immer noch als gelobtes Land. Dorthin zieht es die besten Spieler, wer dort zum Einsatz kommt, wird in der Heimat ein Star wie Nationalkeeper Jerzy Dudek, der der beliebteste Spieler des Landes ist. Die Übertragungen der Champions-League-Spiele seines Arbeitgebers aus Liverpool erreichen höhere Einschaltquoten als die Spiele der polnischen Nationalmannschaft. Das Duell Liverpools mit Leverkusen, wo Polens Sportler des Jahres, Jacek Krzynowek, spielt, bestimmte eine Woche lang die Schlagzeilen.

Wie einige seiner Legionärskollegen, die ihre besten Jahre im Westen verbracht haben, lässt auch Piotr Reiss seine Karriere in der polnischen Ekstraklasse ausklingen. „Der Fußball in Deutschland ist besser und schneller – und du wirst besser bezahlt“, sagt Reiss, der in Poznań ein Held ist, sich aber in Berlin bei Hertha BSC nie durchsetzen konnte. Andrzej Rudy, der einst beim 1. FC Köln kickte und jüngst als Trainer des Oberligisten Bonner SC entlassen wurde, äußert sich ähnlich: „Der polnische Fußball hat sich bis heute nicht vom Ende des Sozialismus erholt.“ Die Vereine bluteten aus; mancher Klub habe sich von unseriösen Geschäftsleuten in den Bankrott führen lassen. „Wer jung und talentiert ist, will in den Westen“, sagt Rudy.

Die Ekstraklasse bewegt sich spielerisch nur auf gehobenem Regionalliganiveau. Wirtschaftlich sieht es auch nicht gut aus. Und das, obwohl die Ligamatches nur im Bezahlfernsehen übertragen werden. Durchschnittlich 12,9 Millionen Zloty (etwa 3,2 Millionen Euro) beträgt der Etat eines polnischen Erstligisten. Lediglich Wisła Krakau, das die Tabelle derzeit mit 12 Punkten Vorsprung anführt, kann finanziell größere Sprünge machen. Doch international spielt auch der Serienmeister keine Rolle: „Die Leute zehren noch heute von den guten Weltmeisterschaften 1974 und 1978“, sagt Rudy. Einer wie der Kölner Lukas Podolski, der deutscher Staatsbürger ist, wird kurzerhand zum Polen gemacht: „Die Polen sind sehr stolz. Für sie ist Podolski Pole.“

Neben der mangelnden fußballerischen Klasse hat die polnische Liga ein Imageproblem. Und nichts deutet darauf hin, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. Wochenende für Wochenende prügeln sich rund um die Stadien hunderte Hooligans. Rechtsextreme Organisationen wie „Combat 18“ oder „Blood and Honour“ geben vielerorts den Ton in den Kurven vor: „Wenn in Deutschland ein fremdenfeindlicher Übergriff ist, steht das in allen Zeitungen“, so ein Sprecher der antifaschistischen Fangruppe „Nigdy Wiecej“ (Never again): „In Polen haben wir jedes Wochenende 200.“

Wenn in vielen Stadien nur noch 3.000 Hartgesottene Eintritt bezahlen, liegt das auch daran, dass die Arenen ihrem Ruf gerecht werden, Sammelbecken für Gewalttäter zu sein. Frauen, Familien oder linke Fans bleiben den Spielen eher fern, zumal Stadiongänger in Polen seit je mit einem Proletenimage bedacht werden.

Lech-Kapitän Piotr Reiss gehört zu den wenigen, die an einen baldigen Aufschwung in Polens Fußball glauben: „Bald wird auch in die Klubs wieder mehr Geld fließen, weil wir ja nun in der EU sind.“ Doch bis dahin fährt Reiss an seinen spielfreien Sonntagen oft nach Deutschland, um sich in Berlin oder Wolfsburg ein Bundesligaspiel anzuschauen. CHRISTOPH RUFOLAF SUNDERMEYER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen