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Mythos in der Zeitschleife

Acht Jahre nach dem Tod von Fela Kuti ist der Afrobeat so lebendig wie nie: Das Revival wird von DJs, Bands und CD-Kompilationen befeuert

VON TOBIAS MAIER

Afrobeat, das war Fela Kuti, und Fela Kuti war der Afrobeat: Nie zuvor und nie wieder war ein ganzes Musikgenre so mit einer Person verquickt. Von den 60er-Jahren bis zu seinem Tod 1997 gab der legendäre Kommunenchef, Panafrikanist und Polit-Poet aus Lagos einer ganzen Generation des postkolonialen Afrika seine Stimme, und sein beißender Spott provozierte eine ganze Generation afrikanischer Despoten. Im Westen war das Bild gespalten: Den einen galt Fela Kuti als Freiheitskämpfer, Dritte-Welt-Aktivist und Musikprophet. Den anderen dagegen als undurchsichtiger Afro-Macho, der bis zuletzt die Existenz des Aidsvirus leugnete.

Erst mit Felas Tod wurde die Afrobeat-Rezeption entideologisiert und machte den Blick frei auf das musikalische Erbe: einen Beat, den Fela in den 60er-Jahren aus nigerianischen Juju-Rhythmen und amerikanischem Funk zusammengebastelt hatte, in den 70er-Jahren zu seinem Höhepunkt führte und in den 80er Jahren als Kopie seiner selbst in eine Art orchestralen Personenkult mystifizierte. Musikalisch ein hochkomplizierter Polyrhythmus mit hohem Wiedererkennungswert, der, live gespielt, absolute Präzision, Disziplin und jede Menge Personal erforderte (in Felas Spätphase in den 80er-Jahren waren allein mehrere dutzend Musiker in der Rhythmussektion beschäftigt).

Was aber kam nach Fela? Zunächst versuchte sich sein ältester Sohn Femi Kuti als quasi natürlicher Nachfolger zu präsentierten und arbeitete sich mehr oder weniger erfolgreich am Erbe seines überlebensgroßen Vaters ab, ohne besondere musikalische Neuerungen anzustoßen. Ganz anders Felas einst im Streit geschiedener Schlagzeuger Tony Allen: Nach einer kreativen Durststrecke schloss er sich in den 90er-Jahren ein paar jungen Produzenten in Paris an und erfand den „Psycho Afrobeat“: eine wabernde, Dub-inspirierte und innovative Kiffermusik, die bislang jedoch ohne nennenswerten Einfluss geblieben ist.

Parallel dazu trauten sich einige versprengte Fela-Gefolgsleute wie Dele Somisi, Baba Ani oder Ayetero mit eigenen Beiträgen aus der Deckung. Und erst seit einigen Jahren hat sich zwischen Lagos, New York und Berlin wieder eine kleine, aber feine Afrobeat-Szene etabliert.

Das Erstaunliche daran ist, dass es vor allem die Elektroniker und DJs waren und sind, die den erdigen, aber hochkomplexen Rhythmus für sich entdeckt haben und für den Dancefloor aufbereiten: die Deep-House-Szene in New York etwa, wo mit den Masters at Work, Blaze oder dem in Nigeria aufgewachsenen Jerome Sydenham gleich ein halbes Dutzend Top-Produzenten ihrem Idol schon Denkmäler setzten. Aber auch die Stars der britischen DJ-Szene wie Fatboy Slim und Ashley Beedle und des Club-Undergrounds werfen immer mal wieder Afro- und Clubbeats in einen Topf.

In Frankreich initiierte Bob Sinclair, einer der Väter des French-House, das Africanism Projekt. Auch sein Landsman Alex Kid fand Gefallen am ein oder anderen Afrobeat-Zitat, und mit Fanga gibt es in Frankreich die erste Psycho-HipHop-Band auf Afrobeat-Basis. Selbst in Deutschland wird neuerdings mit elektronischem Antrieb afrogebeatet: zum Beispiel bei der Münchner Nu Jazz Formation „Intuit“, beim Berliner Produzenten „Ras“ oder auf dem aktuellen Album des Profi-Perkussionisten Phil Kullmann, der gerade unter dem Namen „Raw Artistic Soul“ eingängige Afro- und Latinhouse-Tracks veröffentlicht hat.

Aber es sind nicht nur die Protagonisten der DJ-Szene, die Afrobeat als willkommene musikalische (und weltanschauliche) Stimulanz für sich entdeckt haben. Seit ein paar Jahren gibt es sogar wieder richtige Big Bands, die den rauen Original-Afrobeat-Sound der 70er-Jahre einfach kopieren oder ihn behutsam mit etwas Jazz und HipHop aufpeppen: allen voran das Antibalas Afrobeat Orchester und Kokolo aus New York, zwei eher aus der Latin-Szene stammende Multikulti-Kollektive, die sogar den Rebellionsgestus von Fela aufleben lassen.

Dann gibt es noch die Exoten wie Afrodizz aus Montreal oder die Belgian Afrobeat Association aus Antwerpen. Und sogar Berlin hat mit Rhythmtaxi eine veritable Afrobeat-Band zu bieten, die wiederum der finnische Musikfreigeist Jimi Tenor für sein letztes Album engagiert hat. Wie ein gutmütiges Gespenst wandert der Geist des Afrobeat durch die Musiken der Welt und taucht, oft völlig unerwartet, mal im R’n’B-Kontext und mal im HipHop, mal auf dem Dancefloor oder in Dub-Schwaden wieder auf. Ein Phänomen, das so schwer zu erklären wie zu überschauen ist.

So richtig unüberschaubar für den interessierten Konsumenten wird die Afrobeat-Landschaft jedoch erst durch die zahlreichen Kompilationen, die von Roots bis Remix für jeden Geschmack das Passende anbieten. Gerade erst erschien auf dem amerikanischen „Luaka Bop“-Label mit „World Psychedelic Classics 3“ eine Zusammenstellung von raren 70er-Jahre-Afro-Soul- und -Afrobeat-Tracks, die die musikalische Aufbruchphase in Westafrika unter dem Eindruck von James Brown, Beatles, Jimi Hendrix und eben auch Fela Kuti dokumentiert. Ganz ähnlich das Konzept der „Ghana Soundz“-Reihe aus Großbritannien, die den Afrobeat aus dem Ghana der 60er- und 70er-Jahre vorstellt, der sich neben Fela nie hatte durchsetzen können.

Ein beeindruckendes Panoptikum von durch Afrobeat beeinflussten Songs aus den letzten 30 Jahren eröffnet „Essential Afrobeat“, drei etwas lieblos zusammengeschusterte CDs, die in aller Welt und in verschiedenen Epochen Fela Kutis Einfluss dokumentieren. Selbst der hippe Gilles Petersen kommt auf seiner jüngsten Kompilation „Gilles Petersen in Africa“ nicht am Afrobeat vorbei und verpasst, kraft seiner DJ-Autorität, sowohl raren Originalen von Peter King, Lekan Babalola und Oscar Sulley als auch housigen Nachahmern wie Blaze und der Thievery Corporation den „In“-Sticker.

Afrobeat, so das vorläufige Fazit, ist mit Fela Kuti nicht gestorben, im Gegenteil: Nur wenige Musikgenres scheinen auf Musiker jedweder Couleur eine solch große Anziehungskraft auszuüben wie der Afrobeat. Zwar ist die Musik von Fela und seinen Erben den Ohren einer großen Öffentlichkeit bis heute fremd geblieben. Dem Mythos des Afrobeat aber hat das sicher nicht geschadet.

Der Autor ist Musikchef beim RBB-Radio multikulti.

Ausgewählte Afrobeat-Kompilationen: World Psychedelic Classics 3 (Luaka Bop/V2); Ghana Soundz Vol. 1–2 (Soundway/Grooveattack); Essential Afrobeat (Family Recordings); The Original Afrobeat (Aladdin/Avid); Nu Afrobeat Experience (Eko Star)Moderner & Elektronischer Afrobeat: Afrique c’est Chic Vol. 1–3 (Slip’n’Slide); Abstract Afro Lounge Vol. 1–4 (Nite Grooves); Gilles Petersen in Africa (Ether Music/Universal); Republicafrobeat (Boa Music)

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