Die Einfachallesversteherin

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Christina „Weihnachtskind“ Weiss

Christina Weiss versteht von Amts wegen, wie moderne Künstler gebürstet sind

Wenn plötzlich ein zwölfter Spieler aufs Feld läuft und das entscheidende Tor erst für die einen, dann für die anderen schießt; wenn eine Gruppe junger Leute mit einer Kuh an der Leine beim Bundeskanzleramt klingelt, das Tier im Chefzimmer schlachtet, Wände und Möbel mit dem Blut beschmiert und den Kanzler in die Eingeweide einnäht; wenn eines Tages die Erdkugel explodiert und ein Mann mit roter Plastiknase auf allen Mattscheiben ein Manifest gegen den Menschen verliest – dann braucht deswegen niemand zu stutzen: Das alles ist nicht so gemeint. Es handelt sich vielmehr um Kunst, um Aktionskunst, wie sie seit langem pandemisch geworden ist und daher von Staats wegen gefördert werden muss. Und eine Frau gibt es, die einen Kopf voller Verständnis dafür aufbringt: Christina Weiss, Kulturstaatsministerin.

Christina Weiss versteht von Amts wegen, wie moderne Künstler gebürstet sind, kennt sich als approbierte Kunstgeschichtlerin mit der Diagnose ästhetischer Symptome aus und hat schon als ambulante Kulturjournalistin, dann als feste Kunstbetreuerin auf der Redaktionsstation des Fachorgans art gelernt, sich trotz ständigen Kontakts mit dem Milieu nicht anzustecken; jedenfalls zeigt sie bis heute keinerlei Merkmale eigenen Kunstschaffens. Es kam schlimmer: Statt an Kunst erkrankte sie an Politik; 1991 musste sie als Hamburger Kultursenatorin eingewiesen und 2002 nach Berlin verlegt werden, wo sie nun als „Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Kultur und der Medien“ unter ständiger Beobachtung steht.

Hinterher waren Ausbruch und Verlauf dieser Karriere natürlich vorhersagbar. Schon früh zeigte Christina Weiss’ Sprache die Anzeichen einer Zivilisationskrankheit, deren bekannteste Ausformungen Amtsdeutsch und akademischer Argot sind. Die Patienten leiden an Verdinglichung, Abstraktion und Substantivierung und überleben scheinbar harmlos jahrzehntelang in der Behördenmenagerie ebenso wie im Wissenschaftsladen, aber auch im Kulturkasten. Christina Weiss hatte sich jedoch nicht erst 1989 als Programmverwaltungsleiterin des Hamburger Literaturträgerhauses infiziert, sondern schon 1984 während der Latenzphase an der Universität, in den von ihr ebenfalls besuchten Literaturwissenschaften, bewiesen, dass die Verwaltungssprache sie beherrscht: „Seh-Texte. Zur Erweiterung des Textbegriffs in konkreten und nachkonkreten visuellen Texten“ hieß ihre amtlich-trockene Doktorarbeit, der dann die geringfügig formalere Schrift „Zur Begrifflichung der Texterweiterung in visuellen und nachvisuellen Konkretismen“ nachfolgte. Danach, als sie bereits an der Elbe untergebracht war, gab sie noch ein gedrucktes Buch heraus: „Stadt ist Bühne. Kulturpolitik heute“, das wahrscheinlich heute unter dem Titel „Stadt ist heute. Bühne Kulturpolitik“ in Städten mit Bühnen kursiert.

Seit sie sich in Berlin befindet, scheint zwar Christina Weiss das Schreiben unmöglich geworden zu sein. Aber auch mit dem bloßen Mund verrät sie sich nach wie vor, wenn sie eine „Repräsentanz für Kultur“ aus ihm herauslässt, mit seiner Hilfe von „Kunstproduktionen“ spricht, bei denen es „um Handlungsfähigkeit, Planungsfähigkeit, Visionstauglichkeit und wirtschaftliche Effizienz“ geht, und sogar mit eigenen Fingern eine „Filmkompetenzagentur“ gründet. „Alles, was die Subjektivität betäubt oder gar auslöscht, zerstört ein Stück eigenständiger Persönlichkeit“, wehrt Christina Weiss, für die die Persönlichkeit aus Stücken besteht, jedoch alle objektiven Versuche von außen ab.

So wird sie denn als am 24. Dezember 1953 im saarländischen St. Ingbert geborenes Weihnachtskind noch für viele schöne Bescherungen sorgen. Auch wenn es im Zeitalter hinkender öffentlicher Kassen schlecht steht um den Hamlet der Kultur; auch wenn heutzutage das Kunstwerk im Zeitalter seiner künstlerischen Beliebigkeit einen krummen Ruf unter der dicken Masse der Bevölkerung genießt – Christina Weiss sorgt dafür, dass auch künftig jeder Künstler sich ausdrücken darf, wenn er sich für einen Pickel hält: als nackter Theaterschauspieler, der in die Zuschauerränge uriniert und tote Babys in die Loge wirft; und als schnapsmoderner Maler, der seine Bilder mit der Rückseite nach vorn aufhängt; als rappelneuer Komponist, der das Telefonbuch von New York vertont; und als brandheiß gewickelte Bildhauerin, die mit bloßen Händen unsichtbare Plastiken aus unvorhandenem Stein schlägt; als Performancekünstler, die mit einer Massenbeschneidung das Bewusstsein gegen die Massenbeschneidung schärfen wollen; und als Happening-Artisten, die sich gemeinsam mit dem Publikum vor laufenden Kameras aufessen, als Symbol für die Ignoranz der Mehrheit gegen die Probleme. Guten Appetit! PETER KÖHLER