: Töne zu Fuß erlaufen
REDUKTION UND SYMMETRIE Der schwarze und der weiße Raum – Ryoji Ikeda, japanischer Komponist und Klangkünstler, zeigt seine erste große Einzelausstellung in Deutschland im Hamburger Bahnhof
VON ANDREAS HARTMANN
Man betritt den Ostflügel des Hamburger Bahnhhofs, eine riesige schwarz ausgekleidete Halle. An den Wänden hängen Monitore, auf denen Pixel in rasender Geschwindigkeit rattern. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass die Pixel Zahlen sind. Als ob sie etwas errechnen würden. Nur was? Fiepsgeräusche erklingen, auf ein bestimmtes Signal reagieren die Zahlenschwärme auf den Monitoren, die Bilder frieren für einen Moment ein, als ob sie Ergebnisse der Berechnungen präsentieren würden – alles bleibt rätselhaft. Dann rattert und fiepst es weiter.
Wenn die Ausstellung mit dem Titel „db“ des japanischen Komponisten, Konzept- und Klangkünstlers Ryoji Ikeda nicht Anfang April enden würde, könnte das wohl ewig so weitergehen. Ein Lichtkegel durchbricht die Schwärze des Raums, er verleiht der Maschinenraumatmosphäre des Black Cubes etwas Metaphysisches. Folgt man dem Licht, kommt man in eine grellweiße Kammer. Man verliert bei diesen extremen Farbkontrasten, die man durchwandert, die Orientierung, fühlt sich verloren zwischen all den Zahlen und der Sterilität der Räume. So könnte es auch in künstlich geschaffenen Neuen Welten im Weltall zugehen. Aus dem Weiß geht es zurück ins Schwarz und permanent erklingt weiter dieses Fiepsen.
„db“ (Abkürzung für Dezibel) ist die erste große Einzelausstellung von Ryoji Ikeda in Deutschland und eine für ihn typische Klanginstallation. In den Arbeiten des Künstlers geht es fast immer um Zahlen, Kontrastierungen und die Aneinanderreihung von Tönen. Schon Bachs Fugentechnik, die Ikeda erklärtermaßen bewundert, war hochkonzeptionell, eine fast mathematische Aneinanderreihung von Tönen. Ikeda bezieht nun mathematische Philosophie in seine Arbeit genauso mit ein wie eine Klangforschung, die manchmal bis an die Grenzen des Erträglichen geht.
Wenn der Hund jault
Es gibt Musikstücke von Ikeda, bei denen der Frequenzbereich des menschlichen Gehörs verlassen wird und man nur dann überhaupt noch mitkriegt, dass da Töne generiert werden, wenn der Hund, der mit zugehört hat, plötzlich jault.
„Ich bin ein Komponist, der alles komponiert“, sagt Ikeda über sich selbst: „Texte, Zahlen, Farben, Pixel, Verhältnisse, Materialien zuweilen, Raum und Licht: Es geht immer um Komposition.“ Man könnte ergänzen: Auch Bewegung wird zum kompositorischen Element, in diesem Fall die Bewegung des Museumsbesuchers.
In den Neunzigern hat sich Ikeda zumindest in Deutschland vor allem als Vorläufer des musikalischen Subgenres Glitch einen Namen gemacht, mit extrem minimalistischen Soundpatterns, die auf CD erhältlich waren. Er veröffentlichte unter anderem beim Label Raster-Noton, das sich selbst „Archiv für Ton und Nicht-Ton“ nennt, was gut zum minimalistischen Gegensatzkünstler Ikeda passt. Der Sound spielt heute immer noch eine wichtige Rolle bei den streng komponierten Arbeiten Ikedas, doch zumindest im Hamburger Bahnhof stehen die visuellen Schwarz-Weiß-Kontraste und die überwältigende Raumerfahrung im Vordergrund.
Der Negativraum zur Dunkelkammer
Der Westflügel des Hamburger Bahnhofs ist als eine Art Negativraum zur Dunkelkammer im Ostflügel eingerichtet. Man geht vorbei an Teilen der Dauerausstellung eines anderen großen Konzeptkünstlers, Joseph Beuys, der auch etwas mit Musik zu tun hatte („Sonne statt Reagen“) und steht in einer weißen Halle. Die erinnert in ihrer Künstlichkeit an die Schlussfrequenz von Stanley Kubricks Film „2001“, wo ein schwarze Monolith plötzlich in einem weißen Raum steht.
Ein riesiger schwarzer Parabollautsprecher wirft eine Sinuswelle in den Raum, deren klangliche Wahrnehmung sich beim Durchwandern des Raums variiert. Je nachdem, wie sich der Mensch in dieser künstlichen Welt bewegt, verändert er diese Welt.
■ Ryoji Ikeda: „db“. Im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart. Di.–Fr. 10– 18 Uhr, Sa. 11– 20 Uhr, So. 11–18 Uhr. Bis zum 9. April
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