: Singen im Dunkeln unter Betonsäulen
MULTIMEDIAL Die Staatsoper bringt Luigi Nonos selten gespielte zeitgenössische Oper „Al gran sole carico d’amore“ unter großem technischen und baulichen Aufwand auf eine riesige Bühne – im alten Heizkraftwerk Mitte
VON KATHARINA GRANZIN
Gäste des Technoclubs Tresor kennen es, das alte Heizkraftwerk Mitte. Andere Menschen dagegen, außer natürlich ein paar Angestellte von Vattenfall, haben kaum jemals Gelegenheit, das äußerlich unansehnliche Gebäude von innen in Augenschein zu nehmen. Es ist schon lange entkernt und um seinen Maschinen- und Turbinenpark erleichtert worden. Die entstandene riesige Halle, 6.000 Quadratmeter groß und 28 Meter hoch, weckt Assoziationen an Fritz Langs „Metropolis“. Die Idee, darin Hochkultur zu bieten, liegt nicht unbedingt nahe. Um hier eine Opernproduktion auf die Bühne zu bringen, musste nicht nur die Bühne überhaupt erst gebaut werden, sondern auch alles andere: Zuschauertribüne, Treppen, Toiletten, Aufzug, Café.
Bauten in Kooperation
Es traf sich günstig, dass die Staatsoper dies alles nicht allein stemmen musste, sondern die Bauten in Kooperation mit einem privaten Veranstalter entstehen konnten, der hier demnächst wieder die Show „Red Bull Flying Bach“ zeigt. Vorher aber wird es die richtig große Oper geben. Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ hat am 1. März seine Berliner Premiere. Die Produktion entstand, unter Jürgen Flimms dortiger Intendanz, 2009 für die Salzburger Festspiele. In seiner Funktion als Intendant der Staatsoper hat er sie nun hierher gebracht. Für Berliner Verhältnisse ist sie in ihrer schieren Größe außergewöhnlich. Riesenbesetzung, Riesenbauten, Riesentechnik. Und zeitgenössische Opern sieht man eh nicht alle Tage.
Luigi Nono, der mit Unterstützung befreundeter Theaterleute selbst das Libretto schrieb, war, wie Jürgen Flimm es ausdrückt, in den siebziger Jahren „ein Eurokommunist“. In „Al gran sole“ verarbeitet er die revolutionären Biografien mehrerer Frauen: etwa jener von Louise Michel aus der Pariser Kommune, von Tania Bunke, Co-Guerillera Che Guevaras, oder der fiktiven „Mutter“ aus Maxim Gorkis gleichnamigem Roman. Die Handlung ist fragmentiert, die szenische Umsetzung daher schwierig. Katie Mitchell, die britische Regisseurin, trennt in ihrer opulent multimedialen Inszenierung szenische und musikalische Durchführung räumlich voneinander, was das Proben wahrscheinlich ungemein erleichtert.
Schwierig war es vorher, erklärt Hans Hoffmann, technischer Direktor der Staatsoper, die Platzierung aller Musiker so zu gestalten, dass der Blickkontakt zum Dirigentenpult gewährleistet bleibt. Denn die Halle ist durchzogen von sehr massiven tragenden Betonsäulen. Der Orchestergraben ist riesig, damit die gesamte Staatskapelle hineinpasst, die mit 94 Musikern, also fast größtmöglicher Besetzung antritt. Das Schlagwerk besetzt eine Seitentribüne, ebenso der Chor. – Jetzt, gut eine Woche vor der Premiere, ist die erste Bühnenprobe mit Chor und Orchester. Sie verläuft in entspannter Gelassenheit.
Die Männer hinten im Chor beschweren sich, weil sie im Dunkeln ihre Noten nicht sehen können. Später wird Dirigent Ingo Metzmacher am Pult dasselbe Problem haben, da die Lichtregie, wenn das Orchester nicht spielt, auch seine Pultlampe mit herunterdimmt. Metzmacher probt mit dem Chor eine A-cappella-Stelle, die er nicht präsent genug gesungen findet, quält die Chorfrauen aber auch nicht weiter, als er einsieht, dass sie in tiefer Lage nicht mehr geben können.
Geduld wegen langer Wege
Der Produktionsassistent ist ununterbrochen gefordert, springt hin und her, um parallel laufende Tonband- und Filmelemente auf jene Stellen zurückzusetzen, die der Maestro noch einmal probieren lassen will. Die langen Wege fordern allen Beteiligten Geduld ab, denn schon der Korrepetitor braucht ein paar Minuten, um von seinem Platz auf die Bühne zu kommen und einer Solistin eine Stelle zu zeigen, ab der sie wieder einsetzen soll. Die einzige Person, die nervöse Unruhe ausstrahlt, ist die Regisseurin Katie Mitchell; sie hält sich jedoch bei dieser Probe zurück und lässt die Musiker machen.
Der Intendant dagegen ist die Ruhe selbst. Jürgen Flimm selbst war es übrigens, der Nonos Revolutionärinnen-Oper erstmals in Deutschland inszenierte, 1978 in Frankfurt war das. Das war drei Jahre nach der Uraufführung. Seitdem hat das Werk lediglich zwei weitere Produktionen erlebt, 1998 in Stuttgart und 2004 in Hannover. Diese wird also, in insgesamt 34 Jahren, gerade einmal die vierte Inszenierung von „Al gran sole“ auf einer deutschen Bühne sein.
■ Aufführungen am 1., 3., 5., 9. und 11. März, jeweils 20 Uhr
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