„Viel schlechter“ als Krippen

Der Sozialrechtler Prof. Dr. Gerhard Nothacker von der Fachhochschule Potsdam übt heftige Kritik an den Plänen der Kirche zur Betreuung von Kleinstkindern aus bildungsfernen Schichten

Bremen taz ■ Die bremische Evangelische Kirche will drei „Spielgruppen“ mit Platz für 40 unter Dreijährige aus benachteiligten Familien initiieren (taz vom 28. 4.). In Potsdam, wo es solche Spielgruppen heute schon gibt, stießen sie auf teils heftige Expertenkritik – auch bei Gerhard Nothacker, Sozialrechtler an der Hochschule Potsdam.

taz: Sie wenden sich sehr gegen dieses Konzept. Warum?Gerhard Nothacker (kl. Foto): Wir haben überhaupt nichts gegen alternative Betreuungsangebote. Die Qualität der Betreuung in den Spielgruppen ist aber viel schlechter als bisher in den Krippen oder der fachlich qualifizieren Tagespflege. Einerseits möchte man die Laien stärken, andererseits schon in der frühen Kindheit Bildungsunterschiede abbauen. Das passt nicht zusammen. Wenn jetzt in Potsdam Spielegruppen aufgebaut werden, kann das eine Handhabe für die Kommune sein, Krippenplätze einzusparen. Ein Spielgruppenplatz kostet nur die Hälfte dessen, was ein Krippenplatz kostet.

Ist die Spielgruppe eine billige Notlösung für Arbeitslose?Genauso stellt sich das uns dar. Die Kinder kommen fast ausschließlich aus Haushalten, in denen die Mütter alleinerziehend und erwerbslos sind. 20 Kinder sollen da auf 15 Plätzen von insgesamt sechs Müttern betreut werden. Das Ganze wird begleitet von unausgebildeten und geringfügig beschäftigten Kräften, die an drei Wochenenden für ihre Aufgabe geschult worden sind. Die sind allenfalls zwei Stunden pro Tag da. Am Ende haben wir eine ständige Fluktuation von Kindern und Betreuern. Klar ist, dass eine Kindertagesbetreuung bei hoher Fluktuation nur dann unschädlich ist, wenn die Bindung zu den Eltern sicher ist. Das kann hier nicht unbedingt unterstellt werden. Das bedeutet nicht, dass keine Laienmithilfe möglich ist.

Nehmen die Kinder hier mehr Schaden, als das es ihnen nutzt?Jedenfalls stehen die Kindesinteressen nicht im Vordergrund. Das Konzept denkt nicht an die Bedürfnisse, die Kleinstkinder haben. Und wenn die Eltern einen Job bekommen, müssen sie ihr Kind wieder aus der Spielegruppe herausnehmen.

Einige sagen: Eine Spielgruppe ist besser als nichts.Seit der Pisa-Studie wissen wir, was eigentlich not tut: gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten möglichst frühzeitig zu fördern.Das gelingt nicht, wenn man sie von Laien betreuen lässt und von Kindern aus bildungsnahen Schichten fernhält.

Wie sieht denn die erste Bilanz in Potsdam aus?Das lässt sich bisher nur vermuten, denn die Spielgruppen haben erst im Februar begonnen. Doch sie werden von den Eltern nicht angenommen. Einige wollen ihre Kinder nicht unbedingt da unterbringen, wo sie auf das Milieu stoßen, aus dem die Eltern sie herausholen wollen. Andere sehen die Spielgruppen als minderwertig an. Wer bisher schon nicht erreicht wurde, den spricht offenbar auch das neue Angebot nicht an. Interview: frs