Verräterisch

In der Affäre Wulff ist weiter eine „harte, ungeschönte Recherche“ geboten, fordert der Publizist und „Stern“-Autor Hans Peter Schütz. Er antwortet damit auf Ex-Porsche-Sprecher Anton Hunger, der unter den Journalisten eine „mediale Hybris“ ausgemacht hat, die beim Volk ein „flaues Gefühl“ auslöse

Mein Debattenbeitrag („Rote Linie“) thematisiert Grenzüberschreitungen im Journalismus und elementare Spielregeln in diesem Gewerbe. Er ist keine Betrachtung über Christian Wulff. Hans-Peter Schütz’ Rundumschlag verrät: Selbstkritik scheint seine Sache nicht zu sein.Erstens. Die Kernthese im Schütz-Beitrag lautet, PR-Leute seien windige Gesellen, die es mit der Wahrheit und der Moral nicht unbedingt haben. D’accord. Geschenkt. Auch PR-Leute instrumentalisieren, lügen und verdrehen Wahrheiten. Wie andere hehre Zeitgenossen.Zweitens. Schütz schreibt: „Klar, sagt Anton Hunger, diesen Präsidenten muss man doch verteidigen.“ Exakt das steht in keiner einzigen Zeile. Und warum sollte ich Wulff verteidigen? Ich weiß ziemlich genau, wie er Porsche beim Erwerb der Volkswagen-Mehrheit geschadet und welcher Methoden er sich dabei bedient hat. Aber Wulff war nicht mein Thema.Drittens. Schütz schreibt, Hunger müsste wissen, dass bei Porsche der Journalist „richtig kommod eingebettet“ wird, denn verlangt werde „Liebedienerei.“ Verlangen kann der PR-Mann viel, entscheidend ist, was er bekommt. Gemerkt habe ich in meiner Porsche-Rolle von „Liebedienerei“ der Journalisten wenig. Und damit hatte ich noch nicht einmal ein Problem.Viertens. Schütz braucht keine „Spielregeln solcher Machart“ wie autorisierte Interviews oder nicht zitierfähige Hintergrundgespräche. Wer dafür plädiere, „ruft nach blinder Gefolgschaft und nicht nach kritischem Journalismus.“ Kein Problem. Das Ergebnis wird sein, dass auf einem Tonband der Interviewte nur noch ein müdes Bla-Bla von sich gibt. Dass mit dieser Spielregel auch Schindluder getrieben wird, ist bekannt. Dann wandert das Interview eben dorthin, wo es hingehört: In den Papierkorb. Diese Freiheit hat der Journalist.Fünftens. Schütz nimmt die „Wirtschaftswoche“ in Schutz, weil sie „offen und kritisch“ geschrieben habe. Das aber war nicht das Thema. Die Frage war, ob es erlaubt ist, aus einem Gespräch mit Wulff zu zitieren, das von vornherein nur für den Hinterkopf der Journalisten gedacht war und dem bei einer Veröffentlichung dezidiert widersprochen werde. Die WiWo-Redakteure veröffentlichten die inkriminierten Worte und überschritten eine rote Linie. Sicher wird in der Branche diese Spielregel „kritisch hinterfragt“. Bitte schön. Aber es ist eine Spielregel, die Journalisten bei der Recherche hilft. Kein Mächtiger wird einem Journalisten einen verwertbaren Hinweis geben, wenn er davon ausgehen muss, dass in diesem Zusammenhang sein Name genannt wird. Garantiert. Anton Hunger

von Hans-Peter Schütz

Die Überschrift über dem Text („Rote Linie“) des Kollegen Anton Hunger ist verräterisch bezogen auf ihn selbst. Wer so lange wie er als Pressemanager eines renommierten Unternehmens gearbeitet hat, ist immer in Gefahr, dass er die Spielregeln des kritischen, unabhängigen Journalismus vergisst oder verdrängt. Und sich dann als heißer Befürworter dessen präsentiert, was in der Presse-Branche als „embedded journalism“ längst kritisch bis absolut negativ diskutiert wird.

Diese Form ist entstanden dadurch, dass die US-Amerikaner Journalisten in ihre militärischen Einheiten aufgenommen, quasi „eingebettet“ haben, um eine positivere Darstellung ihrer Kriege in der Öffentlichkeit zu erreichen. Die psychologische Überlegung war: Wer so eingebunden wird, fühlt sich der kämpfenden Truppe näher, schreibt positiver, weil die Soldaten ja auch sein Leben und seine Gesundheit beschützen.

Zugegeben: Es ist ein etwas kühner Sprung, diesen Ansatz auch auf die Arbeit von Journalisten zu übertragen, die sich in den Dienst von Großkonzernen wie Porsche stellen. Aber „eingebettet“ ist man dort auch, und zwar ganz intensiv, wie Anton Hunger nach langen Jahren bei Porsches genau wissen müsste.

Denn verlangt wird dort kein freier, unabhängiger Journalismus, der sich kritischer Berichterstattung verpflichtet fühlt, sondern eine gehobene Form der Liebedienerei. Von wegen Wächterrolle, gar über die Produkte und das Geschehen bei Porsche. Skandalisierung, selbst wenn sie berechtigt wäre, wird dort überhaupt nicht gewünscht. Und um dieses Ziel zu erreichen, wird der Journalist bei Porsche richtig kommod „eingebettet.“

Die neuen Porsche-Modelle werden allemal in schicker Umgebung irgendwo im sonnigen Süden in hocheleganten Hotels präsentiert. Flug, Übernachtung und Spesen sind meist ebenso gratis, wie es offenbar auch bei der Pflege der Kontakte der Wirtschaftsbosse zum ehemaligen Bundespräsidenten Wulff der Fall war, der als niedersächsischer Ministerpräsident ja auch in der Autobranche eine wichtige Rolle spielte, da er bei VW als Vertreter des Anteilseigners Niedersachsen ganz oben in der Macher-Etage saß.

Nun ist längst bekannt, dass vor allem die Auto-Journalisten die milden Gabe der Industrie überaus gerne und erwartungsvoll in Anspruch nehmen. Kostet ja alles nichts, die schöne, kommode Berichterstattung nach Gratis-Aufenthalten in teuren Hotels in schönster Umgebung. Nur allzu kritisch darf man bei der Besprechung der neuen Modelle nicht sein. Sonst könnte es beim Ruf nach dem nächsten Testwagen vielleicht Probleme bei den Hungers der Branche geben.

Dass vor diesem journalistischen Hintergrund auch eine kritische Berichterstattung über das jeweils amtierende „Modell“ eines Präsidenten nur schwer vorstellbar ist, ist leicht einsehbar. Denn wie Anton Hunger schreibt, macht es Ärger bei den Sponsoren, wenn offen und kritisch geschrieben wird, wie dies etwa bei den Redakteuren der Wirtschafts-Woche über Wulff der Fall war. Und schon gar nicht akzeptiert wird, wenn diese Journalisten so frech sind, dass sie nicht mit braver Schreiberei abdienen, wenn ihnen bei einem Landespresseball ein Auto als Hauptgewinn zur Verfügung gestellt wird.

Wenn Ihr schon umsonst saufen dürft …

Das ist schon ein verräterisches Verständnis von kritischem Journalismus: Ihr Pressefuzzis, wenn ihr schon auf euren Bällen umsonst futtern und saufen dürft dank der Sponsoren aus der Industrie, dann vergesst gefälligst eure „mediale Hybris“ und fallt nicht über die ehrwürdige Institution des Bundespräsidenten mit überzogenen moralischen Maßstäben her. Mediale Hybris? Christian Wulff hat inzwischen selbst eingesehen, dass ein Staatspräsident, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, nicht tragbar ist.

Wenn Otto Normalbürger ganz genau wüsste, unter welch komfortablen Umständen bei Porsche Schönschreiberei produziert wird, so könnte er durchaus die „flauen Gefühle“ bekommen, die Hunger in der Bevölkerung darüber ausmacht, dass Käßmann und Köhler, Zumwinkel und Kachelmann „unangemessen von den Medien angegriffen wurden.“ Frau Käßmann hat sich nirgendwo darüber beschwert, dass ihre Promille-Fahrt kritisch beschrieben wurde. Und Kachelmann ist zwar freigesprochen worden vom Vorwurf der Vergewaltigung – aus Mangel an Beweisen. Es ist schlichtweg absurd, diese Fälle eines kritischen Journalismus mit der Berichterstattung über den Fall Wulff zu verknüpfen. Im Fall Wulff mussten ganz zwingend andere Kriterien angelegt werden als im Fall Kachelmann.

Im Fall Wulff wurde doch die Pressefreiheit, wie Hunger behauptet, nicht nur noch hochgehalten, weil sie Selbstzweck sei und daher die notwendige Aufklärungsarbeit zunehmend ihre Legitimation verloren habe. Genau diese harte, ungeschönte Recherche war geboten. Dass die Bundesrepublik am Ende der Affäre einen Präsidenten, immerhin höchster Repräsentant des Staates, an der Spitze hatte, den man einen „Lügner“ nennen durfte, für den sich die Staatsanwaltschaft brennende interessierte und der ein Schnäppchenjäger par excellence zu sein schien, obwohl er so schlecht nicht bezahlt wird, das kann man nur mit einem voll ausgebremsten Verständnis für die Pressefreiheit à la Porsche skandalös finden.

Klar, sagt Anton Hunger, diesen Präsidenten habe man doch verteidigen müssen, auch wenn er ein tüchtiger Schnäppchenjäger zu sein scheint, der überall mitnahm, wo es was zu nehmen gab. Weshalb hat eigentlich Porsche diesem Präsidentenehepaar kein Spielzeugauto in den Garten gestellt, wie dies die Konkurrenz gemacht hat? Ein arger PR-Fehler! Vielleicht hätte dies den Porschegeschäften in Richtung VW ganz gut getan? Dieser Expräsident hat sich immer gerne in Richtung seiner Gönner engagiert. Wenn er heute „Fehler“ einräumt, dann geschah dies doch nicht aus eigener Erkenntnis, sondern weil die deutschen Medien ihrer Pflicht nachgegangen sind. Und dann soll man, laut Hunger, offenbar auch nicht mehr schreiben dürfen, was der renommierte Staatsrechtler Hans-Herbert von Arnim zu Recht sagt, nämlich dass Wulff Ausflüchte benutzt, die den gesunden Menschenverstand beleidigen.

Immerhin räumt auch Anton Hunger ein, dass dieser Wulff „große und unverzeihliche Fehler“ gemacht hat. Und zitiert dann hoch moralisch den überaus kritischen Journalisten Heribert Prantl, wonach die Forderung nach einem Rücktritt nicht die Aufgabe von Medien sei. Ganz vorsichtig gesagt, hat der Kollege Prantl in seinem journalistischen Leben garantiert schon weit mehr als ein Dutzend Mal auf Rücktritte hin geschrieben und sie in seinen Kommentaren auch stramm gefordert. Wenn einer kein Befürworter und Förderer des „eingebetteten Journalismus“ ist wie Anton Hunger, dann ganz bestimmt Prantl. Dessen Zeitung, die Süddeutsche stand dafür auch noch nie zur Verfügung.

Diese Form des Journalismus kann bei der Absatzförderung von Porsche nützlich sein, der Förderung der Demokratie dient sie gewiss nicht. Wieso hielt denn dann am Ende eine Mehrheit der Deutschen diesen Christian Wulff für unwürdig, im Schloss Bellevue zu residieren? Sollte ein Präsident nicht leuchtendes Beispiel „für Gemeinsinn sein“. Man muss in der Tat die Frage stellen, ob der scharfe journalistische Umgang mit einem Mann, der offenkundig kein „Präsident des Gemeinsinns“ war, sondern ein „Präsident der Politikverdrossenheit,“ nicht sehr angemessen war.

Sagen wir es einmal so: Die „verlorene Unschuld“ sehen wir zunächst einmal bei Anton Hunger. Er schließt konsequent die Augen davor, dass längst in der Branche kritisch hinterfragt wird, was er „akzeptierte journalistische Spielregeln nennt.“ Dazu gehört zum Beispiel, dass es praktisch unmöglich ist, ein gedrucktes Interview zu veröffentlichen, das nicht Wort für Wort mit dem interviewten Politiker abgesprochen werden musste. Dieselben Politiker äußern sich nur noch im Fernsehen im Originalton. Schrecklich auch die Spielregel, dass Informationsgespräche oft nur noch unter der Regel geführt werden, dass man alles, was dort gesagt wird, als „unter drei gesagt“ bezeichnet und damit jedwede Berichterstattung über einen Vorgang verhindert wird. Damit ist ein breites Einfallstor für Gefälligkeits-Journalismus geöffnet.

Blinde Gefolgschaft statt kritischem Journalismus?

Spielregeln solcher Machart brauchen wir nicht in der Medienwelt des demokratischen Journalismus. Denn wer dafür plädiert, ruft nach blinder Gefolgschaft und nicht nach kritischem Journalismus. Politische Kommunikation, die nur noch organisiert und abgesprochen daherkommt, brauchen wir auch nicht. Sieht man das bei Porsche nicht so? Dann muss man schon sagen: Diese Autos sind so gut, dass sie derartige Manipulation gar nicht brauchen, um verkauft zu werden.

Der politische Journalismus hat in der Affäre Wulff einen harten Test erfolgreich bestanden: Er hat nämlich seine Unschuld eben nicht verloren, sondern seinen Test dahingehend bestanden, dass er sich Drohungen und üblen Abwehrlügen nicht gebeugt und die Tatsachen sauber recherchiert hat.