Gegen den Sprachverlust

Der chinesische Lyriker und Exilant Bei Dao erhält den diesjährigen Jeanette-Schocken-Preis. Mit dem von Bremerhavener Bürgern gestifteten Preis wird er für seinen Versuch geehrt, „einer despotischen Sprache zu widerstehen“

Er hat in diesem Jahr den Jeanette-Schocken-Preis erhalten: Der chinesische Lyriker Bei Dao war aus Kalifornien nach Bremerhaven gereist, um den seit 14 Jahren vergebenen Bürgerpreis für Literatur in Empfang zu nehmen, der mit dem Namen Jeanette Schocken an jene jüdische Frau erinnert, die im November 1941 gemeinsam mit den letzten verbliebenen Juden der Stadt nach Minsk deportiert und dort umgebracht wurde.

Der Lyriker, der mehrfach für den Literaturnobelpreis im Gespräch war und seit 1989 – nach der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ – 13 Jahre lang das Heimatland nicht mehr besuchen durfte, hatte bei seiner Dankesrede gesagt: „Ich stehe hier und bin mit dem Namen einer getöteten Jüdin verbunden. Darauf bin ich sehr stolz. In meinen Augen ist ein Literaturpreis nicht nur die Bestätigung für das Schreiben eines Schriftstellers, sondern er hebt auch unsere Verantwortung für das gemeinsame Schicksal hervor, nämlich das Schicksal aller Reisenden in die Tiefe der Finsternis“.

Seine eigene literarische Arbeit versteht er als Versuch, „einer despotischen Sprache zu widerstehen“. Schreiben und Exil, sagt er, seien „für einen Dichter reziprok“. Gegen den „kollektiven Sprachverlust in China“ hatte Bei Dao 1978 – damals 29-jährig – in dem inoffiziellen Magazin „Today“ mit Gedichten seine Stimme erhoben, die mit kargen und hermetischen Bildern der erstarrten, offiziellen Sprache die Gefolgschaft aufkündigten.

Bei Dao grenzt sich ab von Adornos Diktum, dass es nach Auschwitz barbarisch sei, ein Gedicht zu schreiben und beruft sich auf Paul Celan, der mit seinen Gedichten jene Aussage korrigiert habe: „Sprache ist die Wirklichkeit des Gedichts, sie ist aber auch die Wirklichkeit, die vom Gedicht verändert wird“.

Der schmale Mann, der am Tag nach der Preisverleihung auf dem Podium eines kleinen Veranstaltungssaals sitzt und seine Gedichte vorstellt, scheint vom Optimismus dieser Worte weit entfernt.

Den vor Jahren in der Presse erhobenen Vorwurf, der Lyriker habe seinen „Frieden mit den Kommunisten gemacht und Kreide gefressen“, weist sein Übersetzer Wolfgang Kubin entschieden zurück. Bei Dao darf seit drei Jahren seine inzwischen 82-jährige Mutter besuchen und einmal im Jahr unter strengen Auflagen in China einreisen. In den USA arbeitet er als Dozent für Creative Writing.

Er selber schreibt inzwischen kaum mehr Gedichte, sondern vor allem Essays über die großen Lyriker des 20. Jahrhunderts, denen er sich in seinen lakonischen und melancholisch gefärbten Sprachbildern verpflichtet fühlt, darunter Rilke, Lorca und Celan. „Ich bin zurück“ hatte er in einem seiner Gedichte nach der ersten Rückkehr geschrieben und ergänzt: „Heimreisen sind viel länger als ein Leben“.

Hans Happel

In Deutschland sind die Texte von Bei Dao im Hanser Verlag erschienen: „Post bellum“ Gedichte, 2001. Aus dem Chinesischen und mit einer Nachbemerkung von Wolfgang Kubin und „Notizen vom Sonnenstaat“ Gedichte, 1991. Mit einem Nachwort, zusammengestellt und aus dem Chinesischen von Wolfgang Kubin.