Lynndie England bekennt sich schuldig

Die bekannteste Beteiligte an den Misshandlungen im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis will durch ein frühes Geständnis ihre Strafe mildern. Wie auch immer das Urteil ausfällt – die oberen Verantwortlichen bleiben ungeschoren

WASHINGTON taz ■ Vor einem Jahr gelangten die Folterbilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib an die Öffentlichkeit und lösten weltweit Entsetzen aus. Eines der bekanntesten Fotos zeigt die Militärpolizistin Lynndie England, wie sie einen Gefangenen an einer Hundeleine führt. Auf einem anderen Bild deutet sie grinsend auf die Genitalien eines Häftlings. Am Montag nun hat sich die 22-Jährige, der vor einem Militärgericht in Texas der Prozess gemacht wird, in sieben Anklagepunkten der Misshandlung, Verschwörung und unzüchtigem Verhalten für schuldig bekannt. Im Gegenzug wurde der Vorwurf, ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt zu haben, fallen gelassen.

Mit dem Handel hofft sie gemäß einer Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft die Höchststrafe von 16 Jahren Haft abzuwenden. Auf welches Strafmaß sie sich mit den Klägern geeinigt hat, soll jedoch erst bekannt gegeben werden, wenn die Geschworenen ihre Strafforderung festgelegt haben. Presseberichten zufolge könnte sie nun zu maximal elf Jahren verurteilt werden. Der Fernsehsender ABC will erfahren haben, dass ihr nur zweieinhalb Jahre Gefängnis drohten. Noch diese Woche soll das Urteil gesprochen werden.

Entlasten könnte sie ferner das Argument ihrer Anwälte, sie habe zum Tatzeitpunkt unter psychischen Problemen gelitten und sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Gefreiten Charles Graner, ihrem damaligen Geliebten, befunden. Dieser, so gab sie zu Protokoll, habe sie auch geheißen, dem Häftling die Hundeleine anzulegen, um ihn in eine andere Zelle zu bringen. Als sich der Mann weigerte, habe Graner ihr die Leine gegeben und ein Foto geschossen. Wenn eine Frau die Leine halte, sehe es erniedrigender aus, soll er bemerkt haben. Das Verhalten habe England nicht für unangemessen gehalten, sie vertraute Graners Erfahrung als älterem Wachsoldaten und Gefängnisaufseher im zivilen Leben.

Graner, der Vater ihres jüngst geborenen Kindes sein soll, wurde im Januar zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Ähnlich wie im Fall Graner hatten Englands Verteidiger anfangs erklärt, sie habe auf Anweisung des militärischen Geheimdienstes gehandelt. Dabei hätte sie die Häftlinge für Verhöre „weich kochen“ sollen. Anderen Ermittlern gegenüber erklärte sie jedoch, die Fotos seien aus Spaß gemacht worden.

Einschließlich England werden im Abu-Ghraib-Zusammenhang sieben Soldaten niedrigen Ranges verurteilt sein. Die Bilder aus Abu Ghraib waren, wie sich später herausstellte, jedoch nur die Spitze eines Eisberges. Eine Vielzahl von Untersuchungen durch das Pentagon selbst, die Presse und Menschenrechtsorganisationen enthüllten, dass hunderte Häftlinge in Gefängnissen in Afghanistan, dem Irak und Guantánamo misshandelt und gefoltert wurden. Zwei Dutzend von ihnen starben.

Die Spur der Verantwortung führt in den obersten Etagen des Verteidigungsministeriums, bis zum Schreibtisch von Donald Rumsfeld. Er, der Geheimdienst CIA, Präsident Bushs Rechtsberater Alberto Gonzales und die Heeresleitung im Irak hatten vom US-Militär bislang verbotene Verhörtechniken genehmigt, darunter den Einsatz von Hunden, vorgetäuschtes Ertränken, Schlaf- und Medikamentenentzug. Dokumente belegen dies eindeutig. So autorisierte der ehemalige Oberbefehlshaber im Irak, Ricardo Sanchez, im September 2003 eine Reihe von Verhörmethoden, die die Genfer Gefangenenkonvention verletzen.

Mehrere Ermittlungen des Pentagon belegen überdies ein Versagen der Führungsstruktur in Abu Ghraib. Sie kommen zu dem Schluss, dass Offiziere versäumten, ihnen unterstellte Soldaten zu beaufsichtigen und anzuleiten. Auch ignorierten sie Anzeichen von Missbrauch. Ein Report resümierte, die Vorgesetzten seien für die Misshandlungen „mit verantwortlich“.

Dennoch wurde bislang kein hochrangiger Offizier oder Politiker zur Rechenschaft gezogen. Der wohl letzte Untersuchungsbericht des Pentagon sprach hohe Militärs im April von jeder Schuld frei. Einzig Reservegenerälin Janis Karpinski, zum Zeitpunkt der Misshandlungen in Abu Ghraib Lagerkommandantin, wurde gemaßregelt. „Dass der Skandal so endet“, kommentiert verbittert die Washington Post, ist eine noch größere Schande für das politische System Amerikas als die Misshandlungen selbst.“ MICHAEL STRECK