Das Schweigen biegen

Spiralen, die sich nach unten drehen: Gustav Kluge malt Bilder voller gesellschaftlicher Bezüge, die auch imaginäre, psychische Landschaften zeigen. In seinem „Teamportrait Moabit“ in der Galerie Wohnmaschine setzt er sich mit Folteropfern auseinander

VON SEBASTIAN FRENZEL

Man erwartet nicht eben große Überraschungen, wenn man dieser Tage das Prädikat „deutscher Maler“ hört. An Fotorealismus denkt man, oder an schwermütige Elegien teutonischer Befindlichkeit, an die Ödness ostdeutscher Brachen oder die Weltflucht in den dunklen deutschen Wald – an Politik aber denkt man sicher nicht.

Gustav Kluge ist deutscher Maler. Doch mit dem Leipziger Allerlei der neuen deutschen Malerei, das derzeit weltweit für Aufsehen und vor allem Umsätze sorgt, hat er nichts am Hut.

Statt großes Pathos über kleinkalibrige Depressionen zu kleistern, setzt sich Kluge seit Jahren mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander. Ganz in dieser Tradition steht auch sein aktuelles Werk „Teamportrait Moabit“, das in der Galerie Wohnmaschine zu sehen ist. So harmlos der Titel klingt, so ernst ist sein Sujet: Das Gemälde ist der Arbeit des Behandlungszentrums für Folteropfer Moabit (bzfo) gewidmet.

In der Mitte des Bildes meint man denn auch gleich eine Gruppe von Folteropfern zu sehen. Männer und Frauen stehen da in einem Halbkreis zusammen, in ihren Händen halten sie drei kleine Puppen, auf die sie konzentriert, fast wahnhaft ihre Blicke richten. Umgeben ist die Gruppe von einer Art Mauer in Form eines geöffneten Kegels. Durch zwei verschwommene Militäruniformen, die über die Seiten des Kegels hängen, gewinnt das Bild Dynamik: Die Gruppe erscheint gefangen in einer Spirale, die sich nach unten dreht.

Der erste Eindruck täuscht indes: Kluge hat nicht die Opfer, sondern die Therapeuten des Zentrums porträtiert, die mit den Handpuppen eine Therapiesituation nachstellen. In diesem Perspektivwechsel mag man Kritik am therapeutischen Verfahren erkennen, das sich in dem patronisierenden Modus von Helfer und Hilfslosem, der klaren Dichotomie von „Normalem“ und „Krankem“ vollzieht. Zugleich aber thematisiert das Werk durch die Fokussierung auf die isolierte, manisch wirkende Therapeutengruppe ein weiter gehendes Problem. Denn wie es die Aufgabe der Therapeuten ist, sich den traumatischen Erfahrungen der Patienten zu nähern und ihr Schweigen zu durchbrechen, so sind sie selbst von einer Mauer des Schweigens umgeben: Nicht nur ist Folter ein weit gehend tabuisiertes Thema, sondern auch Therapieeinrichtungen wie das bzfo vollziehen ihre Arbeit am Rande der Gesellschaft – Der Kreis am unteren Bildrand, in den sich die Spirale zu drehen scheint, wirkt wie das glatt laufende Rad der Bürokratie, das in einigen Regionen systematisches Foltern, in anderen systematisches Schweigen ermöglicht.

Kluges Bild ist großformatig, doch um erhabene Überwältigungsstrategien geht es ihm ebenso wenig wie um Schockeffekte durch eine drastisch-realistische Darstellung. Fast surreal muten die Figuren und die umgebende Natur an, die angedeutete Zentralperspektive geht nicht auf. Beklemmend ist das Werk gerade dadurch, dass es zwischen gesellschaftlich konkreten Bezügen und dem Eindruck einer imaginären, psychischen Landschaft schwankt. Der Rahmen des Bildes ist an einer Stelle gebrochenen, wodurch die Repräsentierbarkeit von Leid und Folter in Frage gestellt scheint – das Werk aber gleichzeitig seine ästhetische Autonomie verliert und sich in den Realraum öffnet.

Kluge versteht den Ausstellungsraum als „vorpolitischen Raum“; Darstellungs- und Interventionsmöglichkeiten jenseits der Malerei lotet die Ausstellung durch einen Schreibtisch und ein Aktenregal aus, die sich gegenüber dem Bild befinden. Auf dem Tisch liegen neben dem Ausstellungskatalog Publikationen des Behandlungszentrums sowie weitere Fachliteratur aus; im Regal hängt die Uniform, die auch im Gemälde abgebildet ist, und stehen Ordner mit Informationen über Foltergeschehen in verschiedenen Regionen. Auch wenn der Informationscharakter hier offensichtlich im Vordergrund steht: Wenn man auf dem schlichten Stuhl sitzend in den Unterlagen blättert, während sich im Regal neben einem die schwarzen, alphabetisch nach Folterländern sortierten Ordner erstrecken, breitet sich die Atmosphäre einer penibel geführten Amtsstube aus. Das Bild an der Wand hinter einem lässt einen schaudern, ohne dass man es anzusehen braucht.

Bis 21. Mai, Di.–Sa., 11–18 Uhr, Tucholskystr. 35, Mitte