Zehn Meter Nachtruhe

Der Streit um Lärm erreicht die Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Das Schwarzsauer, einst erste Bar der heutigen Szenemeile, muss nun als erste die Stühle hochklappen. Nebenan geht es weiter rund

VON CHRISTO FÖRSTER

Sie ist Aushängeschild des Szene-Lebens, Flaniermeile der ewig Jungen, Refugium für Ausgeflippte: die Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Cafés, Kneipen und Restaurants drängen sich aneinander, dazwischen Musikfundgruben und Klamottenläden im Retro-Style. Wenn der Sommer kommt, ist die Kastanienallee Berlin at its best. Bis zum frühen Morgen schlägt das Herz der Stadt hier besonders laut.

Eine Attraktion der Straße ist seit kurzem aber nur noch ein Schatten ihrer selbst. Das Schwarzsauer, weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt für quasi unbegrenztes Freiluft-Miteinander, darf seine Gäste nur noch bis 22 Uhr draußen bewirten. Inhaber Lutz Penndorf steckt im Bürokratie-Dickicht zwischen Sperrzeiten, Lärmverordnungen und Ausnahmeregelungen fest.

Seit ein Anwohner sich über den nächtlichen Lärm beschwert hat, geben die Mühlen des Gesetzes den Takt für den Open-Air-Betrieb des Schwarzsauer vor. Das Skurrile: Links und rechts der Kneipe wird weiter fröhlich auf dem Bürgersteig gefeiert – bis zum frühen Morgen. Penndorf muss nun mit erheblichen Umsatzeinbußen rechnen und seinen Aushilfen erklären, dass sie in Zukunft seltener arbeiten werden. „Bleibt es dabei, dass wir die Gäste schon um 22 Uhr wegjagen müssen, dann ist das der Tod einer Institution“, sagt Penndorf. Das 1993 eröffnete Schwarzsauer war die erste Szene-Bar im Kiez und hat die Entwicklung der Kastanienallee mitgeprägt.

Der Streit mit den Ämtern begann im Oktober. Da führte das Umweltamt eine erste nächtliche Lärmmessung in den vier Wänden des sich beklagenden Anwohners durch. Ergebnis: Der zulässige Richtwert von 40 Dezibel wurde um satte 12 Dezibel überschritten. Die Ermittlung der Lautstärke ist jedoch eine heikle Rechenaufgabe. Da der Krach von Autos und Straßenbahnen die Messung in der Kastanienallee verfälscht, muss eine Formel aus Störort-Entfernung, Anzahl der Außenplätze und Dämpfungskoeffizienten herhalten.

Der Berliner Umweltatlas sagt, dass die Autos hier nachts noch 60 bis 65 Dezibel erzeugen, zudem rumpelt die Tram auch nach Mitternacht noch vorbei. Aber das Ordnungsamt teilte Penndorf mit: „Verkehrsgeräusche sind nach ihrer Art und Dynamik eher hinnehmbar als Gaststättenlärm.“ Das Ordnungsamt leitete im Dezember 2004 ein Verfahren ein, das die Sperrzeit für den Freiluftbetrieb im Schwarzsauer auf 22 Uhr vorverlegen sollte. Das Angebot, per Ausnahmezulassung eine von den Anwohnern tolerierte Lösung zu erreichen, lehnte Penndorf ab. „Das wäre ja geradezu vorauseilender Gehorsam und nicht mein Verständnis von Demokratie“, sagt der 45-Jährige.

Seitdem sind die Fronten verhärtet und die Juristen ergehen sich in der Dichte von Baumkronen und der Frage, wie viel Schall diese schlucken oder eben nicht. Das Umweltamt machte weitere Messungen, die wieder zu ähnlichen Ergebnissen führten, und Penndorf sammelte bei seinen Gästen Unterschriften gegen den Bescheid – rund 300 in wenigen Tagen.

Mittlerweile geht es gar nicht mehr so sehr um den Lärm selbst. Die Frischluft-Fans ziehen einfach vor die Nachbarkneipe, und selbst der Anwohner, der sich beschwerte, habe eigentlich nur erreichen wollen, dass es ab Mitternacht etwas ruhiger wird. Die Streithähne reden nicht mehr miteinander, jetzt zählt allein das Recht.

Sie bedauere zwar, dass es nicht vorher zu einer Einigung gekommen ist, sagt Almuth Nehring-Venus (PDS), Bezirksstadträtin für Kultur, Wirtschaft und öffentliche Ordnung. „Aber“, fügt sie hinzu, „der Ton von Seiten des Schwarzsauer war nicht gerade freundlich.“ Vor Gericht sei Penndorf ohne Chance, da ist sie sich sicher. Überhaupt habe der „seine Kräfte überschätzt“. Sogar die Betreiber anderer Kneipen in der Kastanienallee werfen dem Schwarzsauer zumindest indirekt fehlende Kompromissbereitschaft vor. So vermutet der Besitzer eines Biergartens, dass der Streit mit ein bisschen mehr Sensibilität hätte verhindert werden können. Er selbst würde auch weit nach 22 Uhr noch bis zu 800 Leute draußen bedienen – ohne Probleme mit den Anwohnern. „Wir räumen zum Beispiel nach 23 Uhr keine Gläser mehr ab, um Klirrgeräusche zu verhindern.“

Die Zeiten, da die Wirte in der Kastanienallee schalten und walten konnten, wie es ihnen und den Gästen gefiel, scheinen vorbei. Die vor zehn Jahren noch in tristem Grau vor sich hin dümpelnde Straße hat sich zu einer hippen Wohngegend gemausert. Der Grat zwischen dem Wunsch der Anwohner, mittendrin zu sein im bunten Stadtleben, und dem Bedürfnis nach Ruhe wird nun auch hier immer schmaler.

Und direkt über dem Schwarzsauer werden die leer stehenden Wohnungen bald wieder bezogen. Das Haus soll noch in diesem Jahr saniert werden. Lutz Penndorf sagt, er würde alle selber kaufen, wenn er könnte. Kann er aber nicht. Der nächste Ärger kommt bestimmt.