Der Kahlschlagliterat

JÖRG FAUSER Als Journalist schrieb er über Literatur, von der er als Autor noch träumte – der Brotberuf als Weg zur Berufung

Hier hatte es jemand geschafft, sich gegen den Widerstand der Klüngel zu etablieren. Kann es eine attraktivere Autorengestalt geben?

VON FRANK SCHÄFER

Es gibt allerhand akademische Schlaumeier, die Jörg Fauser auf den Journalisten reduzieren, ihm nur hier überdurchschnittliche Qualitäten zubilligen wollen. Ihnen sollen die Tippfinger abfallen.

In einem aber haben seine Kritiker recht: Man kennt Fauser nicht, ehe man nicht sein journalistisches Werk gelesen hat. Die Zeitungs- und Magazinschreiberei war sein Hauptgeschäft; damit hat er in seiner schriftstellerischen Laufbahn die meiste Zeit zugebracht, hier war er der Vollprofi, der er immer sein wollte.

Er beginnt in den Sechzigern mit gelegentlichen, ziemlich konventionellen Literaturkritiken, die noch nichts von dem toughen, nassforschen Renegatengeist verraten, den seine Arbeiten seit den Siebzigern atmen.

Die Fronterlebnisse und existenziellen Grenzerfahrungen, die Fauser später vielleicht etwas zu apodiktisch bei der Literatur einforderte und bei der deutschen vermisste – ihm selbst sind sie zuteil geworden im Istanbuler Tophane-Slum, wo er 1967/8 versackte und sich so viel miese Opiumderivate in die Venen pumpte, dass der Schriftsteller Carl Weissner sein Überleben und den späteren Entzug als eine der „großen Erfolgsgeschichten der Szene“ bezeichnete.

Tougher Renegatengeist

Sie haben seine Autorphysiognomie maßgeblich geprägt, verhärtet.Mit „Junk – Die harten Drogen“, einem rücksichtslosen Erfahrungsbericht, der 1971 in der Jugendzeitschrift twen erschien, beginnt seine eigentliche Laufbahn als professioneller Journalist.

Aber zu diesem Zeitpunkt hat Fauser bereits sein erstes Buch mit Avantgardeprosa fertig. Er ist vor allem Schriftsteller, und so sollen seine nun Schlag auf Schlag folgenden Reiseskizzen, Porträts und Reportagen nicht nur literarischen Maßstäben genügen – er schreibt auch vornehmlich über Literatur. Eine Literatur, die das bereits eingelöst hat, wovon er selbst noch träumt.

Bevor Fauser seine eigenen großen Zeitromane veröffentlicht, arbeitet er sich erst mal an seiner langen Ahnenreihe ab, an Jack Kerouac, Chester Himes, Raymond Chandler, aber auch an den deutschen Süchtlingen Joseph Roth und Hans Fallada. Und immer wieder Bukowski, den er sich wirklich erschreibt, dessen Größe und Qualität er in immer neuen Artikeln zu taxieren versucht, weil sich in Bukowskis Literatur nicht nur der eigene autobiografische Sinneswandel, sondern auch der seiner Generation manifestiert.

„Nach Acid und Fernweh und Ausflippen, nach Mystik und Junk und Nirvana“, heißt es bereits in Fausers erster Kritik, „zeigt uns Bukowski die Welt, in die wir zurückgekehrt sind, und er zeigt uns, dass es richtig war, in sie zurückzukehren. […] Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Wir haben nichts mehr zu verlieren außer einem Bündel wertloser Illusionen und verramschter Träume. Ich finde, das ist ein guter Ausgangspunkt.“ Das ist Fausers ganz privater „Stunde null“-Mythos.

Allerdings wollte seine Generation bei der neuen „Kahlschlagliteratur“ nicht unbedingt mitmachen, und der Literaturbetrieb hatte darauf ohnehin nicht gewartet. Fauser besetzte infolgedessen eine Nische in der sogenannten Gegenkultur – und kaum eine Laudatio auf seine literarischen Entdeckungen, meist aus dem anglo-amerikanischen Raum (Nelson Algren, Ross Thomas, Michael Herr, Charles Plymell), kommt nun ohne Ausfälle gegen die „Kopf- und Zopfwelt“, gegen die Sitzriesen und „Kulturverweser“ der deutschen Literatur aus.

Der Journalist Werner Mathes, der Fauser Anfang der 80er-Jahre als Pauschalist zum Berliner Stadtmagazin Tip holte, macht dafür auch den „Reflex des Zurückgestoßenen“ verantwortlich, wohl nicht zu Unrecht: „Er wollte schon eine Nummer im Betrieb sein, ganz sicher. Und als der ihm diesen Gefallen nicht tat, bekam er es mit Fauser zu tun.“ Seine Vorbildstellung in den subkulturellen Szenen resultiert wohl auch aus dieser Apostaten-Pose und nicht allein aus den unbestreitbaren Qualitäten seiner Prosa. Hier hatte es einer geschafft, sich außerhalb der Klüngel oder sogar, so schien es jedenfalls, gegen ihren Widerstand zu etablieren – kann es eine attraktivere Schriftstellerphysiognomie für einen jungen, vom Literaturbetrieb links liegen gelassenen Autor geben?

In seiner Zeit als Kolumnist beim Tip erweitert sich sein Repertoire, andere Textsorten kommen hinzu, kulturkritische Besinnungsaufsätze, Kommentare zum Zeitgeist, politische Leitartikel. Zu seinen stärksten Arbeiten gehören sie nicht. Abgesehen davon, dass man sich gelegentlich einen Kommentar gewünscht hätte, weil der historische Kontext, den solche tagesaktuellen Artikel voraussetzen, längst verblasst ist – als politischer Analytiker ist Fauser bestenfalls gutes Mittelmaß. So lesen sich gerade die Kolumnen entgegen seinem notorischen Stilideal oft outriert, überamplifiziert, als versuche da jemand wortreich zu camouflieren, dass er nicht sehr tief unter der Oberfläche schürft.

Harry Rowohlt hat ihm mal bescheinigt, er habe „alles schreiben“ können – für den Journalismus stimmt das auf jeden Fall. Es gibt schlicht kein Format, das Fauser nicht irgendwann einmal bedient hätte. Die ältere Werkausgabe bei Rogner & Bernhard trug diesem Umstand Rechnung, aber erst in dieser neuen, auf 1.600 Seiten immens erweiterten Edition des Alexanders Verlags, lässt sich die Vielfalt, Weitverzweigtheit und die dahinter stehende Energieleistung seines Werkes halbwegs ermessen.

Manische Produktivität

In einem darin abgedruckten Interview mit Ralf Firle hat Fauser erklärt, worauf seine manische Produktivität zurückzuführen ist: „Ich produziere gerne. Ob ich für eine Zeitung schreibe, ein Hörspiel mache, einen Film schreibe, ist mir an sich wurst. Wenn ich 14 Tage nicht geschrieben habe, werde ich unruhig.“ Das sollte man nicht vergessen, wenn man liest, mit welchem heiligen, beinahe unheimlichen Ernst er immer wieder von der Schriftstellerexistenz spricht.

Lange angekündigt konnte der Band wegen eines Rechtsstreits mit der Witwe Gabriele Fauser bisher nicht erscheinen. Man darf sich im Nachhinein schon fragen, was eigentlich gegen eine solche Gesamtausgabe sprach. Dass nicht alle Artikel weltliterarischen Rang beanspruchen können – geschenkt. Gerade die chronologisch geordnete Fülle macht das Buch in toto wertvoller als einzelne herausragende Essays. So lässt sich dieses Buch nämlich auch noch anders lesen: zum einen als verkappte „Autobiografie des Publizisten Jörg Fauser“, wie Fauser-Biograf Matthias Penzel in seinem souveränen Vorwort schreibt, zum anderen aber auch als kleinteilige, materialreiche, meinungsfreudige und immer wieder brillante (Sub-)Kulturgeschichte der 70er- und 80er-Jahre.

■ Jörg Fauser: „Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959–1987“. Mit einem Vorwort von Matthias Penzel und einem Gespräch mit Werner Mathes. Herausgegeben von Alexander Wewerka. Alexander Verlag, Berlin 2009, 1.593 Seiten, 49,90 Euro