Ein Meister der Verdrängung

Es gibt in dem viereinhalbstündigen Film „Speer und Er“ eine kleine Schlüsselszene. Sie spielt im Gerichtssaal in Nürnberg. Den Angeklagten werden Bilder aus KZ gezeigt: Albert Speer (von Sebastian Koch etwas zu glatt gespielt) weint, hemmungslos und aufrichtig erschüttert. So aufrichtig wie dies jemand tun kann, der zuvor den Bau der Krematorien in Auschwitz bewilligt hatte. Die Deutschen waren nach 1945 Verdrängungskünstler – niemand beherrschte diese Disziplin so perfekt wie Speer.

„Speer und Er“ ist ein solider Film. Breloer verwebt gewohnt elegant Spiel- und Dokumentarszenen. Ein „Meilenstein“, eine Offenbarung, wie Frank Schirrmacher in der FAZ leicht delirierend schrieb, ist dieser Film nicht. Der angestrengt hohe Ton, mit dem „Speer und Er“ zu einem nationalen, staatsbürgerlichen Erbauungsprojekt stilisiert wird, ist Teil des Problems, als dessen Lösung Breloer empfohlen wird.

Der erste Teil macht uns mit Speers Aufstieg und seiner Beziehung zu Hitler bekannt. Der zweite und dichteste zeigt, was Speer im NS-System tat, der dritte und schwächste Speers Haft in Spandau. In den Spielfilmszenen rückt Speers Beziehung zu Hitler ins Zentrum. Das glückt, weil Tobias Moretti etwas Unwahrscheinliches gelingt. Er spielt Hitler nicht als brüllendes Monster, nicht als Karikatur, sondern leicht entrückt, wie jemand, bei dem nie zu ahnen ist, wann das Sentimentale ins Brutale kippt. Diese Szenen sind das Kraftzentrum des Films. Darin schimmert durchaus die Legende vom faustischen Pakt, den Speer mit Hitler einging. Breloer inszeniert diese Legende – und bricht sie an der erdrückenden historischen Beweislast. Dass Breloer dafür keine Bilder findet, die ähnlich wuchtig wären wie die Moretti/Koch-Szenen, liegt nicht an einem Mangel an filmischer Fantasie. Es liegt am Genre der Biografie, in dem die Erzählung stets an die Perspektive des Porträtierten gekoppelt bleibt.

„Speer und Er“ hat eine paar Längen und einige berührende dokumentarische Szenen. Im Gedächtnis bleibt das beherrschte Gesicht von Hilde Schramm, der Tochter, die kaum glauben kann, dass ihr Vater ganz profan von Arisierungen profitierte. Darin spiegelt sich das Drama der Kinder, die allen Mühen zum Trotz die ganze Wahrheit nicht ertragen können und noch mit 70 Jahren den Vater schützen wollen. Im Gedächtnis bleibt das Lachen von Albert Speer jr., Architekt wie sein Vater. Ein Lachen, das entsteht, wenn ohnehin nichts mehr zu retten ist.

STEFAN REINECKE

„Speer und Er“ zeigt die ARD am 9., 11. und 12. Mai jeweils um 20.15 Uhr. Am 12. Mai sendet die ARD außerdem um 23 Uhr die Dokumentation „Nachspiel – Die Täuschung“