„Herr Hohlt! Es glänzt!“

Kein leichtes Erbe, der Bruder eines tragischen Genies zu sein. Der Keramiker Görge Hohlt trägt es seit vierzig Jahren – und ist selbst zum Klassiker geworden

von REINHARD KRAUSE

Der grüne Werbeaschenbecher kann Görge Hohlt nicht aus dem Konzept bringen, eher löst er Heiterkeit aus. „Ja genau, das ist so einer! Von denen hab ich damals siebentausend Stück gedreht, der hier war für die Firma Krauss-Maffay. Heben Sie den gut auf, das werden mal richtige Sammlerstücke.“ Worin natürlich eine gewisse Komik liegt: Immerhin lebt die moderne Studiokeramik zuvörderst vom Ruf, nichts als Unikate hervorzubringen. Ein Gegenentwurf zur sterilen Industrienorm wie zur Töpfermassenware.

Der tausendfach produzierte Aschenbecher ist also so etwas wie eine Jugendsünde – wenn auch eine gut gemachte und eine wirtschaftlich notwendige noch dazu. Denn als der schnöde Ascher vor mehr als fünfzig Jahren entstand, war noch nicht abzusehen, dass die Werkstatt Hohlt im malerischen Katzbach nahe Rott am Inn binnen kurzem zu einer der wichtigsten Adressen der deutschen Keramik werden sollte. Das Werkstattsignet mit der Katze, die über einen Bach springt – bis 1953 nach links, seither in einer modernisierten Fassung nach rechts – ist aus der europäischen Keramikgeschichte schon lange nicht mehr fortzudenken.

In Berlin zeigt Görge Hohlt derzeit einen Querschnitt seines bis ins Alter brillanten Könnens: Vasen, Schalen und Objekte aus jüngster Produktion, klassisch und ausgewogen in der Form und meisterhaft glasiert – ob in Seladon, mit einer Asche-, einer Oilspot- oder der berühmten so genannten Ochsenblutglasur. Eine rare Gelegenheit zur Wiederbegegnung mit einem Klassiker des Gefäßes in einer Zeit, da die moderne Keramik von Ziellosigkeit geprägt ist. Es gibt gleich dreifachen Grund zum Feiern: Seit sechzig Jahren existiert die Werkstatt Hohlt, seit vierzig Jahren wird sie von Görge Hohlt geleitet und, nicht zuletzt: In einem Monat feiert Hohlt seinen 75. Geburtstag.

Görge Hohlt ist nicht nur einer der bedeutendsten Nachkriegskeramiker, er ist auch der Bruder des jung verstorbenen Albrecht Hohlt. Der gilt als tragisches Genie: Über seinen ebenso faszinierenden wie hoch toxischen Glasurexperimenten starb Albrecht Hohlt 1960 einen grausamen Krebstod. Umso bemerkenswerter, dass Görge Hohlt das schwere Familienerbe nach dem Tod des zwei Jahre älteren Bruders antrat. „Zu Anfang“, sagt er und lässt es im Vagen, wie lang dieser Anfang währte, „wurde ich immer sehr mit dem großen Bruder verglichen: ‚Das ist ja schon fast so schön wie bei Ihrem Bruder‘, hieß es dann. Was einen natürlich nicht so furchtbar freut.“ Natürlich nicht.

Das Berufsziel stand für Görge Hohlt, Sohn des Bildhauers Otto Hohlt, schon früh fest: Er wollte Ornithologe werden. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg schien ein Zoologiestudium, ja selbst das Abitur außerhalb aller Möglichkeiten: „Mein Vater kam 1945 aus dem Krieg zurück, Gott sei Dank heil, aber schwer krank, verzweifelt auch, denn es war anzunehmen, dass mit Bildhauerei gar nichts mehr gehen würde. Damals sagte man ihm – und das waren durchaus kluge Leute: ‚Sehen Sie zu, dass Ihre Söhne ein Handwerk lernen, nur noch das Handwerk hat in Deutschland eine Chance. Es wird nie wieder Hochschulen geben!‘ Das war die Stimmung selbst noch 1946.“

Otto Hohlt, der schon in den Dreißigerjahren mit Ton gearbeitet hatte, erschien die Idee einer keramischen Werkstatt nahe liegend, ja wirtschaftlich zwingend. Es fand sich ein töpfernder Exsoldat, der den fünfzehnjährigen Görge Hohlt in die Anfangsgründe des Drehens einweihte; mit viel Improvisation kam eine erste Werkstattausrüstung zusammen. „Ich habe noch im Ohr“, sagt Hohlt, „wie der Soldat beim ersten Glasurbrand meinen Vater aus dem Atelier rief: ‚Herr Hohlt! Es glänzt!‘ Wir haben damals Kaffeegeschirre gemacht, die wunderbar zu verkaufen waren, so lange es die alte Währung gab.“

Mit der Währungsreform jedoch erlosch die Nachfrage nach Töpferware schlagartig. In dieser Situation hatte Albrecht Hohlt, der sich anfänglich nicht recht für die Keramik hatte begeistern können, die entscheidende Vision für die Zukunft der Werkstatt. „Mein Bruder“, erinnert sich Görge Hohlt, „hatte 1949 in Köln – damals noch unter Ruinen – eine Ausstellung mit chinesischer Keramik gesehen, und das war die Wende hin zur Studiokeramik und zum Unikat. Diese Konsequenz hätte ich gar nicht gehabt, dem Vater so in die Parade zu fahren und zu sagen: ‚Schluss mit dem ganzen Kram.‘ “ In der deutschen Nachkriegskeramik gehören die Hohlt-Brüder zu den Pionieren, die weit gehend autodidaktisch, aber doch mit dem erklärten Willen zur Systematik Glasuren entwickelten oder mit selbst gefertigten Porzellanmassen experimentierten – zum Entsetzen der traditionell geschulten Zunft.

An ein Zoologiestudium war für Görge Hohlt weiterhin nicht zu denken: „1949 habe ich Abitur gemacht. Meine erste Tramp-Tour ging zu Professor Drost nach Wilhelmshaven, der die Vogelwarte Helgoland aufgebaut hatte. Den habe ich gefragt, wie ich Ornithologe werden könnte. Und der sagte: ‚Um Gottes willen, studieren Sie das nicht! Das ist total brotlos! Wenn Sie ein Handwerk können, dann bleiben Sie dabei.‘ “ Görge Hohlt blieb – und drehte unter anderem die tausenden von Werbeaschenbechern. „Das hat damals eine Weile ganz gut Geld eingebracht. Ich drehte Ascher, bis ich davon Blutkringel bekam, weil die Finger völlig durchgewetzt waren. Mein Bruder dachte nicht daran. Für den Unterhalt der Werksatt zu sorgen, dafür war ich gut. Das hat mir damals gestunken, auf bayerisch gesagt.“

Auch sonst konnte das gegenseitige Wetteifern bisweilen in offene Konkurrenz umschlagen: „Albrecht hat auch viel unter die Keramik geritzt, die ich gedreht hatte und die ihn störte, weil sie zu gut war. So Sachen wie ‚fecit‘.“ In der Druckgrafik signalisiert dieser Ausdruck, dass es sich um einen Stich nach der Vorlage eines anderen Meisters handelt. Als Künstlersohn wusste Görge Hohlt den groben Scherz selbstredend zu deuten: Albrecht verspottete ihn als ausführendes Organ seiner Ideen. Ärgerlicher war, dass der große Bruder die Fachliteratur vor ihm wegschloss. In der Werkstatt, vom Vater gegründet im idealistischen Glauben an eine Gemeinschaft von Gleichen, war ganz offensichtlich nicht genug Luft zum Atmen für zwei starke Keramikerpersönlichkeiten. Görge Hohlt zog die Konsequenz und ging 1955 nach Höhr-Grenzhausen an die Staatliche Ingenieur- und Werkschule für Keramik. Später arbeitete er fast sechs Jahre als Ingenieur in der keramischen Industrie und befreite sich so vom familiären Konkurrenzdruck.

Dennoch muss das Verhältnis zwischen den Brüdern eine stabile Basis gehabt haben. Von Görge Hohlts Wissenszugewinnen profitierte auch Albrecht Hohlt unmittelbar, und umgekehrt war das Beispiel Albrecht Hohlts auch Ansporn für den jüngeren Bruder: „Albrecht war für seine Zeit ein unglaublich genialer Keramiker. Einen Mut und eine Kraft hat er gehabt! Wahnsinn!“

In der Keramik spricht man gelegentlich vom Bazillus ceramicus, der Sammler wie Künstler befallen kann. Im Fall Albrecht Hohlts war es ein tödlicher Bazillus. Der Furor, mit dem er sich der Entwicklung einer Systematik der (chinesischen) Glasuren verschrieb, steigerte sich zum Fanatismus, als er über seinen Experimenten an Krebs erkrankte und wusste, dass ihm für sein Lebensprojekt nur wenige Jahre bleiben würden. „Ich habe jetzt noch Narben von einem Magengeschwür“, sagt Görge Hohlt, „weil ich mit ansehen musste, wie sich der große Bruder kaputt gemacht hat. Meine Mutter starb tausend Tode, wie sie immer die Schreie aus der Werkstatt hörte, das war nicht zum Aushalten. Aber er wollte immer noch weiter, er wollte sich noch verwirklichen, bis zum Schluss.“

1965, fünf Jahre nach dem Tod des Bruders, entschloss sich Görge Hohlt, aus der Industrie auszusteigen und die Werkstatt in Katzbach weiterzuführen. Es war keine leichte Entscheidung, betont er, doch nie habe er sie bereuen müssen. Denn ohne dass damit zu rechnen gewesen war, brachen damals die „goldenen Jahre“ der deutschen Keramik an, und Hohlt konnte sie maßgeblich mit gestalten. Plötzlich gab es bedeutende Sammler, die direkt in den Werkstätten kauften, und eine Vielzahl an renommierten Ausstellungsmöglichkeiten. Endlich auch war mit anspruchsvoller Keramik mehr zu gewinnen als nur ein schmales Auskommen.

Während der vergangenen vier Jahrzehnte arbeitete Görge Hohlt zwar immer an – meist vorsichtigen – Neuerungen des Formenspektrums, daneben aber pflegte er immer auch das „klassische“ Hohlt-Programm weiter. Auch den typischen glänzenden Laufglasuren hat er stets die Treue gehalten, mochten sich die keramischen Moden auch wandeln. „Ich will schon gern noch auf dem Laufenden bleiben“, sagt er. „Aber man muss auch nicht jeden Blödsinn mitmachen.“

Bis heute reist er als Sachverständiger durch das Land, um zu bestimmen, ob ein Stück nun von ihm oder seinem Bruder ausgeführt worden ist. Für die Keramik seines Bruders, sagt er, hat er eine immense Verehrung: „Ich hab Jahre gebraucht, bis ich mich daran traute, seine letzten Gefäße fertig zu stellen, die er noch gedreht hatte, bei denen er aber nicht mehr dazu gekommen war, sie zu glasieren.“

Bei diesen Worten zeigt eine besonders harmonische Keramik aus einem Katalog, der vor zehn Jahren zum fünfzigsten Werkstattjubiläum erschien. „Das hier ist ein Stück, davor kann man nur den Hut ziehen, das war ein solches Trumm, er hat geschrien vor Schmerz, weil die ganze Leber schon zersetzt war vom Krebs – und da dreht er noch so ein Stück! Die Vase war im nassen Zustand über achtzig Zentimeter groß. Diese Kraft hatte ich nie. Die Form hat er von den Dromoran-Zäpfchen, die er gegen die Schmerzen nehmen musste.“

Ein renommierter Orinthologe übrigens ist Görge Hohlt schließlich doch noch geworden. Auf internationalen Kongressen ist er ein stets gern gesehener Gast, wie er – so selbstbewusst wie verschmitzt – zugibt: „Wohl auch, weil die wissen, dass ich keinen Anspruch auf irgendwelche Posten erhebe.“

Görge und Dedda Hohlt in der Galerie Theis, Berlin-Charlottenburg, Neufertstr. 6, bis zum 31. Mai (täglich außer Montag 16 bis 20 Uhr)REINHARD KRAUSE, 43, ist taz.mag-Redakteur