: Bündnis des Blicks
Offen rassistisch: Die Kolonialpostkarten der Schau „Bilder verkehren“ im Kunsthaus
Fast eine Milliarde Postkarten hat die Deutsche Reichspost im Jahr 1900 befördert – ein Hinweis auf die große Popularität, die das Medium um die Jahrhundertwende genoss. Oft verschickte der Absender seine Post nach Deutschland, um seine Anwesenheit an einem anderen Ort zu dokumentieren. Unzählige Bilder aus fremden Ländern fanden so ihren Weg in deutsche Wohnzimmer und vermittelten den Daheimgebliebenen einen Eindruck von Erfahrungen, an denen sie nicht teilgenommen hatten. So wurde ein Bündnis des Blicks zwischen Absender und Empfänger eingeübt, der die abgebildeten Menschen oft exotisierte oder als minderwertig denunzierte.
Es ist der Ausstellung „Bilder verkehren. Postkarten in der visuellen Kultur des deutschen Kolonialismus“ im Kunsthaus zu verdanken, dass mit den Mythen der deutschen Kolonialgeschichte aufgeräumt wird. In akribischer Kleinarbeit hat das Ausstellungsteam die private Postkartensammlung von www.postcard-museum.com aufgearbeitet: Die Fotos werden mit historischen Fakten kontrastiert; oft hat man Aussagen der Kolonisierten dazugestellt, die von Gewalttaten der Kolonisierenden berichten. Diese wiederum versuchen oft, ihre Taten durch Verniedlichung zu verharmlosen. Man weiß nicht, ob den damaligen Empfängern dieser Postkarten die implizite Entmenschlichung der Abgebildeten aufgestoßen ist, doch die Beliebtheit der Motive lässt daran zweifeln. Der deutsche Soldat Hermann etwa verschickte um 1904 etliche Postkarten, auf deren unkommentierter Vorderseite gehenkte Befreiungskämpfer aus Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia) zu sehen sind. Texte wie: „Lieber Lorenz. Sende dir hiermit einen Negerjungen als Beitrag zu deiner Sammlung“ wurden täglich aus aller Welt nach Deutschland geschickt.
Solche Blätter dokumentieren ein Stück halb vergessener Geschichte, denn hartnäckig hält sich der Glaube, der deutsche Kolonialismus sei unbedeutend und kurz gewesen. Dabei waren die deutschen Kolonialgebiete Togo, Kamerun, das heutige Namibia und Tansania dreimal so groß wie Deutschland und mehrere Jahrzehnte lang besetzt.
Doro Wiese
Di–So 11–18 Uhr, Kunsthaus; bis 5.6.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen