Formenlaboratorium in Ziptown

„Design für eine bessere Zukunft?“ Beim diesjährigen „Designmai“ stehen Gestaltungen im Vordergrund, die über unsere Zeit hinaus weisen. Wer will, kann sich dem Thema auf einem Symposium theoretisch nähern. Aber es ist auch möglich, ein Stück Zukunftsdesign gleich käuflich zu erwerben

Die Besucher werden mit disziplin-überschreitenden Fragen konfrontiert

VON MICHAEL KASISKE

Das Fragezeichen ist notwendig. Damit bleibt das dem Roman von Aldous Huxley entlehnte Motto des diesjährigen Designmai „Schöne neue Welten“ mit dem ergänzenden Satz „Design für eine bessere Zukunft?“ nämlich offen. Der britische Schriftsteller zeigte 1932 eine normierte, totalitäre Zukunft auf, die sich – wie er zwanzig Jahre später bereits feststellte – in rasend kurzer Zeit zu verwirklichen drohte. Von einer Gleichschaltung ist Design heute freilich in jeder Hinsicht entfernt, wie im Programmheft des Festivals einleitend feststellt wird.

In seinem Selbstverständnis als eine Plattform für unterschiedliche Foren möchte der Designmai den Besucher mit disziplinüberschreitenden Fragestellungen konfrontieren (Termine und Adressen siehe Kasten). So heißt es auf dem Symposium „Blueprints of Tomorrow“ zum Thema Umweltgestaltung „Raumschiff Erde?“, zur Lebensgestaltung „Neue Werte?“ und zur Menschengestaltung „Perfekte Menschheit?“. Die Referenten sind Fachleute, die ihr Augenmerk auf die Entwicklung der (westlichen) Gesellschaft legen, aus wissenschaftlicher Sicht wie der Anthropologe Fridtjof Bergmann von der Michigan University oder als kommerziell Beobachtender wie Frank Ruff von der DaimlerChrysler-Abteilung „Sozialwissenschaftliche Umwelt- und Trendforschung“.

Die Ausstellung „JUNG + DEUTSCH“ ist hingegen eine Präsentation bekannter Designer, die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut entstand und nach dem hiesigen Auftakt auf Wanderschaft geht. Sie gliedert sich in die vier Bereiche Wohnen, Freizeit, Arbeit und Öffentlichkeit und will zeigen, dass Innovationen und neue Technologien bereits in Produkte umgesetzt wurden, während sich das übrige Land erst über seine Zukunftsfähigkeit Gedanken zu machen beginnt. Der Begriff „jung“ ist im übrigen relativ – die Protagonisten sind um die vierzig Jahre alt und haben längst eine Handschrift entwickelt.

Die Chancen weniger bekannter Gestalter auf Entdeckung liegen in der Präsentation von Projekten, mit denen übergreifende Antworten auf gesellschaftliche, technologische, funktionale und ökologische Fragen gegeben werden. Schlagkräftige Konzepte, die zu einer eigenen Form finden, sind gefordert. Denn die Zielgruppe sind einschlägig interessierte Laien, weniger die Fachleute, die das Gezeigte in die Produktlinie eines Herstellers oder in das Programm eines Geschäftes aufnehmen. Anders etwa als die strukturell ähnlichen „Passagen – Interior Design in Köln“ findet der Designmai nicht parallel zur einer großen Fachmesse statt.

Erneut als Hot Spot präsentieren sich die Designmai-Youngsters. In der Kunstfabrik am Flutgraben fungiert wie im letzten Jahr die 2yk-Galerie als klassischer Schauraum, etwa für Silke Wawor aus Amsterdam, die das „käufliche Glücksgefühl“ bei Markenartikeln am Beispiel von Bekleidung sichtbar machen will. Die Mehrzweckhalle, tagsüber Treffpunkt für die Besucher, wandelt sich nachts in ein „Klublabor“: Jeweils einen Abend lang werden etwa das „Maria“, das „WMF“ und sogar der soeben geschlossene „Tresor“ gestalterisch und musikalisch präsent sein.

Für Besucher, die sich nicht nur anregen lassen wollen, kann beim Dsignmai-Showroom auch ein Stück Zukunftsdesign erworben werden. In entspannter Lounge-Atmosphäre präsentieren an zwei Wochenenden jeweils 75 Designer Produkte aus den Bereichen Mode und Wohnen. Unter diesen befindet sich der Baukasten Berlin, ein Zusammenschluss von sechs Labels, die zusätzlich in einem eigenen Laden zu Entdeckungsreisen in Architektur und Stadt einladen. Wobei die dort gezeigten Welten – wie etwa im Plattenbauquartett – auf die Utopien der Vergangenheit rekurrieren.

Anhand von einhundert Entwürfen zur Gestaltung des Stadtraums in der früheren UdSSR anlässlich des 100. Geburtstags von W. I. Lenin im Jahr 1970 stellt „Hotel Moskau“ dar, wie mit Design Propaganda gemacht wird. Die agitatorische Formensprache wird darüber hinaus in den privaten Raum transformiert und greift damit die Standardformeln des sozialistischen Alltags auf.

Interessant zu werden verspricht auch „Ziptown, Quarks und Supersystem“. Im Mittelpunkt stehen Systeme, die hier auf zwei Möbelreihen und auf ein Stadthausprojekt angewendet werden. Zum Festival verlegen die Designer und Architekten Tom Kühne, Joachim Schultz und Martin Holzapfel ihr Studio in den Ausstellungsraum, um dem Diskurs über Systeme einen Raum zu bieten.

Ein weiteres architektonisches Projekt kommt aus Norwegen. Die Architekten Brendeland & Kristoffersen präsentieren ihren in einem von Punks besetzten Stadtteil von Trondheim realisierten Wohnungsbau, an dem exemplarisch Planung in einer alternativen Kultur, Finanzierung mit einen schmalen Budget und Bauen mit Holz aufgezeigt werden.

Zielgruppe sind interessierteLaien, wenigerdie Fachleute

Unter dem Titel „Forever Tomorrow“ zeigt das Designbüro Murken/Hansen Produkte, die sich klar von Pseudoinnovation und formal bestimmten Trends abheben. Die Designer stehen für in Proportion, Konstruktion, Material und Nutzungsqualität abgerundete Produkte, die über das Morgen hinaus ihren Sinn im Umfeld behaupten.

Ihr Kollege Jörg Hundertpfund stellt seine Einrichtung für das Einstein-Haus in Caputh vor. Von der gemütlichen Ausstattung, die der Physiker zum Leidwesen des Architekten Konrad Wachsmann den in den 1920er Jahren modischen Stahlrohrmöbeln vorzog, hat sich leider nichts erhalten. Um eine kongeniale Atmosphäre in dem kleinen roten Haus am Hang des Schwielowsees zu erzeugen, entwarf Hundertpfund reduzierte und lediglich durch Farben und Materialien Komfort ausstrahlende Möbel, die technologisch der Gegenwart entsprechen.

Eine zum zweiten Mal stattfindende, lobenswerte private Initiative ist der von bf-Design initiierte „Wilhelm-Braun-Feldweg-Förderpreis für designkritische Texte“. In Andenken an den rührigen Gestalter der Nachkriegszeit werden Texte von Studenten und Absolventen des Design prämiert, die einen Beitrag zum gegenwärtigen Diskurs über Gestaltung leisten.

Mit der Programmzeitschrift in der Hand wird der Besucher Berlin wortwörtlich en passent in seiner besten Jahreszeit erleben. Damit wird, sofern die Sonne scheint, wohl erneut die konzeptionelle Schwäche des Designmai überdeckt werden können: dass die Verweigerung der Gestaltung einer „schönen neuen Welt“ nicht heißen muss, auf eine nachvollziehbare Auswahl zu verzichten.