berliner szenen Vierundzwanzig Stunden

Ein Kaugummi, ein Eis

Um drei Uhr morgens gehen wir tanzen. Die ersten zwei Stunden denke ich, das ist nicht meine Welt. Zu viel ungewollter Körperkontakt mit zu vielen Menschen auf einmal. Welches ist jetzt nochmal das Frauenklo? Das rechte oder das linke? Keines von beiden, wie es scheint, viel gepinkelt wird hier nicht. Die Musik ist aggressiv, und ich verliere die Orientierung. Draußen wird es langsam hell. Ich suche verzweifelt nach einem Kaugummi. Warum, weiß ich nicht, aber der Kaugummi würde mir einen Sinn geben, hier zu sein, denke ich. Obwohl jeder kräftig am Kauen ist, hat niemand einen. Endlich finde ich ein Mädchen, dass mir einen gibt.

Ermutigt durch den Kaugummi gebe ich dem Ganzen noch eine Chance. Die Sonne scheint jetzt durch die großen Fenster der Panorama Bar. Ich kann es nicht wirklich beschreiben, aber plötzlich kommt etwas Großes auf mich zu. Arme hoch, Augen zu und nicht durch, aber durch und durch. Der Kaugummi gehört zu meinem Mund wie meine Zunge. Die umstehenden Menschen zu mir wie meine engste Familie.

Zehn Stunden später, und ich laufe die Stargader entlang. An einer Ampel bleibe ich stehen. Ich ertappe mich, wie ich im Takt zum Blindensignal wippe. Ich kann mich gerade noch davon abhalten, meine Arme zu heben. Auch die Augen sollte ich besser offen lassen. Immerhin ist Frühling.

Es ist, als ob jemand meinen Volume-Knopf ein Stück höher gedreht hätte. Alles intensiver als sonst. Die Farben, die Gerüche, die Geräusche. Ich habe Hunger. Mir fällt ein, dass ich noch nichts gegessen habe. Ich überquere die Straße und kaufe mir das erste Eis des Jahres. Ich habe noch nie so ein gutes Eis gegessen.MAREIKE BARMEYER