ausgehen und rumstehen
: Fernsehen und tanzen: Herbst statt Hitze, Faust statt Fun

Am Freitag, wenn es Abend wird und gegessen ist, geht mal wieder gar nichts mehr. Gott sei Dank hat für diesen Fall immer jemand irgendwo den Fernseher an; noch besser, wenn der gewählte Kanal Eurosport heißt und ein Poker-Turnier aus dem Casino von Monte Carlo zeigt. Die Kombination aus Sofa und hochkarätig besetztem Sportereignis verschafft in Windeseile ein Höchstmaß an Entspannung: Während der entkräftete Körper sich in der erzwungenen Ruheposition langsam wieder zusammenfügt, lernt der Geist ein ihm bisher gänzlich unbekanntes Kartenspiel plus dazugehörige Taktik kennen. Ganz offensichtlich lassen sich die Profizocker von heute aber nicht mehr mit den lederhäutigen Las-Vegas-Typen von vor 80 Jahren vergleichen.

Das viel besprochene und für ein aussichtsreiches Spiel erforderliche „Pokerface“ kriegen fast alle nur noch mittels unterschiedlich geschmackloser Sonnenbrillen hin. „Schade, dass sich hier keiner zum Deppen macht und aus purer Eitelkeit eines dieser verspiegelten Pilotenmodelle trägt“, denke ich, aber das ist ja kein Spiel, sondern Sport, und deshalb ist hier auch kein Platz für unqualifizierte Gedanken.

Reichlich Platz für alles Mögliche, vor allem für mehr Publikum, ist am Samstagabend im Theaterdiscounter in der Monbijoustraße. Nach einem mit meiner rechten Gehirnhälfte im Computerladen zugebrachten Tag hat mich eine Freundin dorthin mitgenommen, zu einer alten Bekannten, sie ist Schauspielerin und nennt sich jetzt K. C. Scrätcher. In der großen, leeren Betonhalle ein gut erhaltener Dinosaurier aus dem Mittneunziger-Berlin, hat K. C. Scrätcher eine Art Stück inszeniert, es heißt „Tanzen in Deutschland“, und viele Freunde machen mit.

Während die Besucher durch den Raum rennen und tanzen, weil es das Ensemble genauso macht, erschallen Botschaften. Die deutsche Gesellschaft, Symbol des Stillstands, sie soll „jetzt“ tanzen, vor allem soll sie aber „den Konflikt“ tanzen, sagen die Akteure, und es wirkt so freundlich und aufmunternd, wie sie behaupten, das Tanzen würde rettend wirken auf dieses Land. Und sie haben sogar Recht damit: Der Auftritt einer türkischen Breaker-Gruppe wird begleitet von einigen Überkopf-Moves, die den Jungs sämtliches Geld aus den Taschen und auf den deutschen Fußboden leeren. Schön auch: Doc Schoko spielt zum Abschluss ein in Wort und Ton vollkommen unverständliches Lied.

Beim anschließenden Besuch in Berlins bester Falafelbude in der Linienstraße lasse ich mir von einigen Anwesenden deren Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart erzählen, was manchmal, so wie hier, durchaus der Nachfrage lohnt. Ein alter Freund, der sehr gut malt und damit sehr schlecht verdient, hat in der Mulackstraße eine Anstellung gefunden. Im dort entstehenden modischen Bermuda-Dreieck erhielt er von der vornehmsten der bereits existierenden Boutiquen den Auftrag, im Hinterhof einen Garten anzulegen. „Viele Kräuter und Bäume jenseits der Wege“, lautete die Anweisung. „Aber womit graben?“, fragte sich der Freund, der zum Arbeitsbeginn lediglich Champagner und einen Sonnenschirm gereicht bekam. Mittlerweile wurde der Kurier nach einem Spaten ausgeschickt.

Weil es draußen gerade Herbst wird und mir vom Rio-Besuch in der letzten Woche noch die Klaustrophobie in den halb zerquetschten Knochen steckt, gibt’s heute kein F.U.N. mehr.

Dafür „Faust“, am Sonntag, im Deutschen Theater. Auf Monate ausverkauft sei diese Inszenierung, erzählt man sich. Ich weiß von nichts und bin trotzdem begeistert. Ein Tipp für danach: bitte den Italiener geradeaus vergessen und nach rechts zu „Bier & Broiler“ einbiegen. Trotz eines ernsthaften Problems mit der Abzugshaube serviert man hier die besten Pommes der Stadt.

LORRAINE HAIST