Die Pyramide schwankt

Der Abstieg von Hansa Rostock macht die Bundesliga zur Ostclub-freien Zone. NOFV-Boss Hans-Georg Moldenhauer kennt dafür den Grund. Er sagt: „Wir sind unten ganz ausgedünnt und oben jetzt auch“

VON MARKUS VÖLKER

Die Zukunft hat für Hans-Georg Moldenhauer die Form einer Pyramide. Er hat sich überlegt, wie der Fußball im Osten Deutschlands einmal aussehen könnte. In der Bundesliga sollen nach dem Modell Moldenhauers einmal drei Vereine aus dem Osten spielen. In der Klasse darunter kickten idealerweise vier bis fünf Klubs. Und wieder eine Etage tiefer, in der Regionalliga, sähe er gern sieben bis acht Teams. Das würde eine schöne Pyramide ergeben. „Aber die Pyramide schwankt natürlich“, räumt Moldenhauer, DFB-Vizepräsident und Chef des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV), ein. Sie schwankt sogar bedrohlich. „Wir sind unten ganz ausgedünnt und oben jetzt auch“, sagt der 63-Jährige. Aber die Pyramide schwankt nicht nur, sie ist auch ziemlich deformiert.

Seit 15 Jahren verwaltet Hans-Georg Moldenhauer das Erbe des DDR-Fußballs. Als er 1990 zum Spitzenfunktionär gewählt wurde, hat er gesagt: „Wir haben auch viel einzubringen.“ Die Bausteine für einen soliden Pyramidenbau schienen vorhanden. Doch so einfach gestalteten sich die Bauarbeiten nicht, derzeit ist die Pyramide jedenfalls einsturzgefährdet, weil: Sie besitzt keinen Unterbau. Nur zwei Klubs, der Chemnitzer FC und Union Berlin, spielen derzeit in der Regionalliga. Noch. Denn Union Berlin steigt in die Oberliga ab. In der Mitte sieht es etwas besser aus. Dynamo Dresden, Energie Cottbus, Erzgebirge Aue und demnächst Hansa Rostock sorgen in der zweiten Liga für einen stabilen Mittelbau; Rot-Weiß Erfurt ist indes dem Abstieg geweiht. In der ersten Bundesliga spielt künftig gar kein Team mehr aus dem Osten. Moldenhauer trickst ein wenig, um die Spitze seiner Pyramide zu retten. Hertha BSC macht er eben mal zum Ostklub. „Die zähle ich mit, die gehören ja zu unserem Verband“, sagt er.

„Die Klubs, die kaputtgegangen sind, hatten alle eine professionelle Westführung“, sagt Moldenhauer, dessen Einwand wie eine Rechtfertigung klingt, dass es ja nicht die Einheimischen gewesen sind, die die Verantwortung für die Misere tragen. Zwischen Dresden und Leipzig redet man sich ganz gern ein, die Abzocker seien wie eine Heimsuchung über den Ostfußball gekommen. Dabei tragen die Alteingesessenen eine Mitschuld. Sie haben die Klubs oft leichtfertig aus der Hand gegeben, weil sie glaubten, die neuen Vereinslenker hätten das Wohl des Klubs im Auge, weil sie sich ein eigenes Engagement nicht zutrauten oder durch Parteinähe diskreditiert waren.

Der DFB hat versucht, das Vakuum an Know-how zu füllen. Er veranstaltete Seminare und Lehrgänge. „Es hat vielfältige Bemühungen gegeben, den Klubs zu helfen“, sagt Moldenhauer. So wurde die Idee geboren, Patenschaften ins Leben zu rufen zwischen dem Management erfahrener Bundesligaklubs und Ostvereinen. „Das wurde nicht angenommen, die Klubs haben sich auf ihren Autonomiestatus berufen“, erinnert sich Moldenhauer. Die kompetenten Berater schienen ja auch schon da zu sein. Warum also auf DFB-Paten zurückgreifen? Dass einem Mann wie Rolf-Jürgen Otto, ehedem Präsident in Dresden, die Tradition der Dynamos wenig galt, wurde erst später klar – als es zu spät war. „Damals ist sehr falsch gearbeitet worden. Es wurde zu viel Geld an Spieler und Trainer bezahlt – das war haarsträubend“, bilanziert der DFB-Vize.

In Cottbus, beim FC Energie, hat man weitgehend auf die eigenen Kräfte vertraut. Der Verein aus der Lausitz war für Glücksritter nicht sonderlich interessant. Den Fußballbetrieb führten Leute aus dem Umkreis. Präsidium, Trainer Eduard Geyer und Manager Klaus Stabach präsentierten sich als Einheit – und waren so erfolgreich. Außenstehende prallten ab am Lausitzer Triumvirat, kein Wunder, dass sich Präsident Dieter Krein in einer Mischung aus Stolz und Trotz als „eingefleischter Ossi“ bezeichnet. Das soll heißen, dass er nicht auf „Sabbelköpfe“ und „Blender“ hereingefallen sei, wie so viele nach der Wende. Aber auch Krein (63) muss zugeben, dass Spielervermittler und Berater den FC Energie „mächtig beschissen“ hätten. Ab und an hätte das Cottbuser Trio die Übersicht verloren: „Wir wurden durch illustre Angebote von Wundertätern überrumpelt.“ Freilich wussten die Vereinslenker des FC Energie auch ihren Schnitt zu machen, bisweilen in Grauzonen.

Hans-Georg Moldenhauer glaubt, die Vereine hätten mittlerweile einen Lernprozess durchgemacht. Sie seien vielerorts auf dem Weg der Besserung, in Jena etwa, Aue oder eben in Dresden. Natürlich sei die Wirtschaft schwach und die Abwanderung von Profis Richtung Westen immer noch beträchtlich. Aber den Vorschlag des HSV-Trainers Thomas Doll heißt er deswegen noch lange nicht gut. Doll hatte kürzlich in einem Interview den DFB dazu aufgerufen, bei den kränkelnden Klubs aus den neun Ländern „regulierend einzugreifen“, damit es zu keiner „Liquidierung der Ostklubs“ komme.

„Wenn der DFB das machen würde, hätte er sofort Holstein Kiel oder den 1. FC Saarbrücken an der Strippe, die sich beschweren würden“, sagt Moldenhauer. Es sei nicht das mangelnde Kapital, das Vereinen vordergründig zu schaffen mache, sondern die grassierende Misswirtschaft – im Osten wie im Westen. Dennoch: Auch in strukturschwachen Gegenden könne man etwas aufbauen, glaubt Moldenhauer. Aber es ist fraglich, ob man auf jenem dürftigen Fundament eine stattliche Pyramide errichten kann, ein Bauwerk des Fußballs, wie es Hans-Georg Moldenhauer vorschwebt.