Recriminalize it!

Der britische Premier Tony Blair hat angekündigt, Cannabis wieder als gefährliche Droge einstufen zu wollen – ausgerechnet wegen einer Studie, die hinter dem Missbrauch soziale Gründe vermutet

VON ADAM LUX

„Es war richtig, was wir getan haben“, erklärte der britische Premier Tony Blair am letzten Tag seiner Wiederwahlkampagne, „aber ich denke, es sind die falschen Signale davon ausgegangen.“ Mitnichten meinte Blair, wie man vermuten könnte, den Krieg seiner Nation gegen den Irak. Sondern die erst im März 2004 erfolgte Einstufung von Cannabis als „weiche Droge“.

Hatte denn nicht im Auftrag der Regierung der „Advisory Council on the Misuse of Drugs“ nachgewiesen, dass Cannabis weit weniger gefährlich sei als Nikotin oder Alkohol? Und dass es keineswegs mit Speed und Amphetaminen zu vergleichen ist, wie seine Bewertung als „Klasse B“-Droge immerhin 30 Jahre lang hatte vermuten lassen?

Handelte Blairs zuständiger Staatssekretär David Blunkett also voreilig, als er Cannabis offiziell mit Drogen der „Klasse C“ gleichstellte, wie es Steroide oder verschreibungspflichtige Antidepressiva sind? Damit, wer mit einer gewissen Menge für den Eigenbedarf erwischt wird, nicht mehr gleich ins Gefängnis muss? Zwecks Entkriminalisierung? Nein? Alles falsch?

„Wir haben um Rat gefragt“, erklärte Blair am Vorabend der Wahl, es gebe neue Studien aus Neuseeland. Applaus bekam Blair ausgerechnet von Griffith Edwards, 76, der jahrzehntelang als Doyen der Drogenforschung und Kronzeuge der Cannabis-Befürworter galt: „Vor 30 oder 40 Jahren habe ich noch geschrieben, Cannabis wäre eine harmlose, nicht suchtgefährdende Droge. Jetzt werde ich wohl meinen Hut fressen müssen.“

Grund für die kuriosen Kehrtwenden ist angeblich die neue Studie aus Neuseeland, wonach der Konsum „bei Anfälligen“ das Risiko der Schizophrenie erhöhe und, bei bekifftem Fahrer, auch im Verkehr nicht ungefährlich sei. Das mag alles richtig sein, hat sich aber sogar in Deutschland schon seit Jahren herumgesprochen. Interessant ist hier eine These, die der Kölner Sozialpsychologe Aldo Legnaro schon 1982 aufgestellt hat: Saufen werde von der Gesellschaft als systemerhaltend, Kiffen dagegen als systemzersetzend bewertet, weil es den gesellschaftlichen Konsens über die soziale Wirklichkeit infrage stelle.

Dass liberale Politiker eher ein Herz für Kiffer und konservative eine Blase für Trinker haben, das beweisen der Grüne Christian Ströbele („Gebt das Hanf frei!“) und die CSU-Granden alljährlich beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg. Politik eben, auch eine schlimme Droge.

Und Tony Blair? Fürchtete er vor der gar nicht so sicheren Wiederwahl völlig zu Recht, als der britische Premier in die Geschichte einzugehen, der – nein, nicht den Irak überfallen –, sondern erstmals seit 30 das Drogengesetz seines Landes gelockert hat. Dass sich sogar Queen Victoria gegen ihre Menstruationsbeschwerden von ihrem Leibarzt Haschisch verabreichen ließ, das bleibt in diesem Zusammenhang leider eine ebenso randständige Anekdote wie hierzulande der exzessive Speed-Konsum führender Nazis.

In seinem Buch „Matters of Substance“ betont denn auch Edwards, dass er sein früheres Urteil nicht wegen neuer Erkenntnisse revidiert, sondern weil er heute das Problem in einem größeren Kontext sieht: „Wenn wir die Armut loswerden, werden wir auch den größten Teil des Drogenproblems los. Wir haben uns zu lange auf den individuellen Konsum konzentriert – und nicht auf die Bedingungen, die ihn verursachen.“

Prävention also, nach allen Seiten. Ob’s hilft? Gestern meldete die Polizei in Hagen, dass sie einen 15-jährigen Schläger mit 2,7 Promille im Blut aufgegriffen hat. Als seine Mutter ihn auf der Wache abholte, schimpfte sie nicht auf ihren Sohn, sondern auf die Polizei: Komasaufen bei Jugendlichen, das sei doch heutzutage „normal“.