Hiob als heilige Johanna des Friedens

Bequem ist sie nicht – aber das wollte sie auch nie sein. „Ich werde auch noch mit 100 auf die Barrikaden gehen“, sagte Hanne Hiob einmal. Die streitbare Schauspielerin erhält im September den Aachener Friedenspreis; das gab das Komitee gestern bekannt. „Ein Signal gegen Rechtsradikalismus“ will es damit setzen, denn die Losung „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“ könnte das Lebensmotto der Brecht-Tochter sein. Dieser Kampf und das Erbe des Vaters bestimmen das Leben von Hanne Hiob, die seit ihrer Heirat mit einem Arzt den biblischen Namen trägt; die Ehe allerdings scheiterte.

Brecht ist 25, als seine Frau, die Sängerin Marianne Zoff, Hanne 1923 in München zur Welt bringt. Der Vater verlässt Frau und Kind für die Schauspielerin Helene Weigel; zwei Jahre ist Hanne damals alt. Die Mutter heiratet 1928 den Schauspieler Theo Lingen. Lingens Popularität ist es, die seine halbjüdische Frau und das Stiefkind vor den Nazis schützt.

Der Kontakt zum berühmten Vater brach nie ab, dieser allerdings war wenig vom Talent der Tochter überzeugt: „Du bist ebenso wenig für die Bühne geeignet wie ich“, soll er gesagt haben. Doch Hanne Hiob geht ihren Weg. Nach einer Ausbildung zur Tänzerin macht sie sich als Theaterschauspielerin einen Namen, Engagements an zahlreichen europäischen Bühnen folgen. Erst nach dem Tod des Vaters wagt sie sich an Brecht-Stoffe, Hiob spielt die Titelrolle in der „heiligen Johanna der Schlachthöfe“.

1976 ist Schluss mit dem Theater, Hiobs neuer Wirkungskreis ist die politische Bühne. Im Westen witterte sie stets Faschismus, mit der DDR arrangierte sie sich: In den 80er-Jahren wirkt sie bei einigen DDR-Fernsehfilmen mit, die dortige Opposition ist wenig begeistert von der Frau, die doch im Wesentlichen in der BRD lebt.

Engagiert, das ist das Attribut, das vielleicht am besten zu ihr passt: Sie liest aus Briefen von KZ-Insassen, prozessiert gegen Lehrer, die im Unterricht rechtes Gedankengut verbreiten, organisiert Protestzüge gegen Bundespräsident Carstens und Kanzlerkandidat Strauß. Immer wieder geht sie in Schulen, für Lesungen, für Diskussionen. Und immer häufiger zieht sie ihr Selbstbewusstsein aus dem väterlichen Erbe: Es gelingt ihr, mit Brechts „Legende vom toten Soldaten“ zu provozieren – nach einem Rechtsstreit darf sie den Text auf dem Soldatenfriedhof Bitburg rezitieren. MADLEN OTTENSCHLÄGER