Abschiebungen ins Nichts

Berichte aus Afghanistan: Flüchtlingspastorin Fanny Dethloff und GAL-Abgeordnete Antje Möller warnen den Senat vor der zwangsweisen Rückführung afghanischer Flüchtlinge aus Hamburg. In ihrer ehemaligen Heimat würden sie zurzeit in der Hoffnungslosigkeit landen

„Es ist zu früh“ für Abschiebungen von afghanischen Flüchtlingen aus Hamburg, lautet das klare Fazit von Fanny Dethloff. Kurz vor dem Ende ihres einwöchigen Aufenthaltes in Afghanistan zeichnet die Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche in ihrem Zwischenbericht an das Bischofskollegium ein Bild der Perspektivlosigkeit von der Lage in dem zentralasiatischen Bürgerkriegsland. Afghanische Flüchtlinge, die in ihre Heimat abgeschoben werden, „landen im Nichts“, fügte Dethloff gestern in einem Telefonat mit der taz hamburg hinzu. Ohne Familie, Geld und Ausbildung, ergänzt die GAL-Abgeordnete Antje Möller, „werden sie hier nicht Fuß fassen können“.

Die meisten der bereits Zurückgekehrten, mit denen Dethloff und Möller gesprochen haben, litten unter „Hoffnungslosigkeit“, vor allem die westeuropäisch sozialisierten Kinder „kommen in den Schulen nicht klar, acht von zehn Kindern brauchen besondere Förderung“, schreibt Dethloff in ihrem Bericht, der der taz vorliegt. In den meisten Orten sei kein sauberes Trinkwasser verfügbar und das Gesundheitswesen praktisch nicht existent, 90 Prozent Arbeitslosigkeit, allgegenwärtige Korruption und eine „unsichere Sicherheitslage“ kennzeichneten die Situation in dem kriegszerstörten Land.

Rückkehrer hätten zudem „keine Chance auf ein Dach über dem Kopf“, haben Dethloff und Möller in der Hauptstadt Kabul wie auch bei einer Fahrt mit Leibwächtern in die Region festgestellt: „Ohne Land gibt es kein Haus. Ein Haus ist aber bei den Mieten in Kabul – für ein kleines Obdach ohne Wasser und Strom 250 Dollar – eine Voraussetzung für die Rückkehr“, schreibt die Flüchtlingspastorin in ihrem Bericht. Sie sehe „keine Notwendigkeit und keine Begründung dafür“, stellt Möller fest, „dass Hamburg im Alleingang Abschiebungen erzwingen will“.

Nach Einschätzung von Dethloff sei es „viel überzeugender“, Rückkehrwillige in Deutschland in Projekten „auf die Situation vor Ort vorzubereiten, damit sie in Ruhe, mit sämtlicher Habe und wirklich freiwillig den Aufbau Afghanistans unterstützen können“. Vor allem eine gute Ausbildung und handwerkliche Fähigkeiten seien dabei gefragt. Sie appelliere deshalb „an die Kreativität von Handwerkskammer und Senat, solche Projekte zu gründen“.

In einer ersten Bewertung des Dethloff-Berichts versichert der Schleswiger Bischof Hans Christian Knuth, es werde „die Kirche nicht unberührt lassen, wenn der Staat junge Menschen von ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld trennt und abschiebt“. Sie habe „die Hoffnung, bald möglichst eine Verständigung über ein freiwillige Rückkehr“ mit dem Senat zu erzielen, erklärte Hamburgs Bischöfin Maria Jepsen. Dethloff und Möller wollen sich nach ihrer Rückkehr am heutigen späten Abend auf Pressekonferenzen ausführlich äußern.

Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) will heute mit den ersten Abschiebungen nach Kabul beginnen (siehe Text links). Von 15.000 in der Hansestadt lebenden Afghanen gelten bis zu 5.000 als „grundsätzlich ausreisepflichtig“. Als Erstes sollen allein stehende Männer zwischen 18 und 60 Jahren zur freiwilligen Ausreise überredet werden – oder eben zwangsweise abgeschoben. Sven-Michael Veit