vor zwanzig jahren: benedict m. mülder über die grünen im nrw-wahlkampf
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Die Grünen an Rhein und Ruhr sind längst auf Tauchstation gegangen, haben so ungefähr alles falsch gemacht, was es falsch zu machen gab – das Tauziehen um ein Verhandlungsangebot an die SPD, eine aufgesetzte Sexualdebatte, ein Wahlkampf, in dem grüne Persönlichkeiten nicht einmal schemenhaft vorkamen, und ein „Sachprogramm“, durch das sich der Wähler frühestens bis Weihnachten durchgearbeitet hat.

In diesem Wahlkampf haben sie nichts versprochen. Die SPD ist ein einziges Versprechen. Sie steht für die soziale Stabilität an der Ruhr, für eine stabile Verkleisterung der Verhältnisse. Über Deutschlands größtem industriearchäologischen Park liegt ein Hach des Unberührbaren, ein riesiger Wattebausch deckt mit sanfter Gewalt alles ab, was nach Veränderung schreit, weil aus dem Park sonst ein riesiges Sanatorium würde. Die Aussöhnung von Arbeit und Umwelt meint genau das, die Neutralisierung des inneren Widerspruchs. Man scheut hier die Revolution wie der Teufel das Weihwasser. Damit wird auch klar, dass es für die CDU keine Chance gibt und vorläufig geben wird. Will sie überhaupt existieren, muss sie sich ebenfalls zum „Bewahrer der steinernen Verhältnisse“ stilisieren.

Die Grünen haben es versäumt, aus ihrer eigenen Geschichte zu schöpfen, den Fundus regionaler Sensibilität und Erfahrungen zu nutzen. So stehen sie nur da als Abschalter von Kraftwerken, als Verbotspolitiker eines moralischen Rigorismus. Dafür aber sind Rheinländer und Westfalen wiederum ein zu lebenslustiges Völkchen [hach, wie süß], als dass der Geist ökologischer Rationalität für alle gleich einnehmend wäre. Erst eine schöpferische Spannung sorgt für das richtige Verhältnis von Bewahren und Verändern. Deshalb gehören die Grünen in den Landtag, weil der Abschied von der industriellen Wachstumsorgie nirgends besser zu verdeutlichen ist als im Zentrum der alten Wohlstandsgesellschaft. (11. 5. 1985)