Diskussionsverbot in Schulen

POLITISCHE BILDUNG Niedersachsens Kultusministerin Heister-Neumann (CDU) hat eine Diskussionsreihe in Schulen untersagt, um Schüler vor Beeinflussung zu schützen

„Schüler werden nicht von Profi-Politikern zugetextet“

Fabian Dames, Stadtjugendring

VON MICHAEL QUASTHOFF

Niedersachsens Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) hat eine politische Diskussionsreihe namens „Goe-Vote“ untersagt, die der Stadtjugendring (SJR) seit Jahren an Göttinger Schulen durchführt. Die Empörungswellen schwappen bis in den Landtag. Die Grünen sprechen von einer „bildungspolitischen Bankrotterklärung“, die SPD-Fraktion von einem „Maulkorberlass“. Sie kündigen ein parlamentarisches Nachspiel an.

SJR-Mitabeiter Fabian Dames hatte nicht mit Schwierigkeiten gerechnet, als er für September eine weitere Goe-Vote-Diskussionsreihe an 15 Schulen plante. 2.000 bis 3.000 Schüler sollten jeweils in der dritten und vierten Stunde in den Genuss der moderierten Debatten kommen. Geladen waren keine Mandatsträger, sondern Vertreter der unabhängigen Jugendorganisationen aller fünf im Bundestag vertretenen Parteien.

Das Konzept stelle sicher, so Dames, dass die Schüler nicht „von Profi-Politikern zugetextet werden“, sondern mit politisch engagierten Menschen reden, „die kaum älter sind als sie“. Bisher hatte daran auch niemand etwas auszusetzen. Heister-Neumann-Vorgänger Bernd Busemann (CDU) ließ anlässlich der Kommunalwahlen 2006 eine Goe-Vote-Veranstaltungsreihe anstandslos über die Bühne gehen. Selbst die amtierende Ministerin gab dem Stadtjugendring vor der Europawahl im Mai ihr Plazet, „da die Pluralität sichergestellt“ sei, wie es in einer EMail an die örtliche Schulbehörde hieß. Was den Sinneswandel bewirkt hat, weiß man nicht. Das Ministerium beruft sich auf die Rechtslage. Die hat sich aber seit der Europawahl nicht geändert.

Grundlage des Verbotes, sagt Kultussprecher Andreas Krischat, sei „Schutz vor Beeinflussung“ und ein Erlass aus dem Jahr 2005, in dem es heißt: „Für die letzten vier Unterrichtswochen“ vor einer Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahl dürfen Einladungen an Mitglieder des Bundestags, Mitglieder des Landtags und „sonstige Vertreter demokratischer Parteien nicht ausgesprochen werden.“ Doch dieser Erlass wurde im August 2007 vom damaligen Kultusminister Busemann gekippt. Er verfasste seinerseits einen Erlass in Sachen „eigenverantwortliche Schule“ und legte die „Entscheidungsbefugnis“ über politische Veranstaltungen in die Hände der Schulleitungen.

Das passte Nachfolgerin Heister-Neumann wohl nicht. Sie warf im März 2009 einen „Erlassentwurf“ zur Änderung des Busemann-Erlasses auf den Markt, der unter anderem besagte, dass die Schulbesuche von Politikern „wieder aus dem Katalog der in die Entscheidungsbefugnis der Schulen gestellten Erlasse herausgenommen“ wird.

Das ist alles etwas verwirrend, kommt aber noch besser. Denn dieser „Erlassungsentwurf“ befindet sich erst im Stadium der Anhörung, er gilt also noch gar nicht. Deshalb zog das Ministerium eine „Vorgriffsregelung“ aus dem Ärmel und erteilte die Weisung, „dass bis zur Neufassung des Erlasses“ in Bezug auf Schulvisiten von Politikern der Alt-Erlass von 2005 wieder in Kraft gesetzt wird. Das ist keine „Vorgriffsregelung“, sondern ein heikler Rückgriff. Einmal im Schwunge, untersagte Staatssekretär Bernd Althusmann auch Einladungen an Vertreter der „von der Mutterpartei unabhängigen Jugendorganisationen“, weil hier ebenfalls „die Gefahr des Anscheins einer unzulässigen Einflussnahme“ gegeben sei. Davon hat das Ministerium bei vergangenen SJR-Veranstaltungen zwar nie etwas bemerkt, aber es ist wohl eh schon wurst.

Gnädig stellte man dem SJR frei, die Veranstaltungsreihe außerhalb der Vierwochenfrist, also im August, oder außerhalb der Unterrichtszeit, dann auch gern in der Schule durchzuführen. Das sehen die SJR-Aktivisten nicht ein. Das Konzept sei immer gewesen, die Veranstaltung in die Wahlkampfphase und in den Unterricht einzubinden, damit nicht nur die politisch informierten Jugendlichen davon profitieren, sagt Dames. Fortsetzung folgt im Landtag.