Von Atom bis Zittern

Was kommt nach Rot-Grün? (4): Ein kleiner, alphabetisch geordneter Ausblick auf das, was dieses Land nach dem Bundestagswahlsieg einer schwarz-gelben Koalition erwartet

VON STEFAN KUZMANY

Atomkraft. Ist eine linke Wortschöpfung und wird als solche von der Merkel-Regierung endgültig abgeschafft. Das gilt allerdings nicht für die

Kernenergie.

Beschäftigung. Wird auch für eine unionsgeführte Bundesregierung „an erster Stelle stehen“. Wir werden auch mit ihr jede Menge von sog. Beschäftigungs- und Jobgipfeln erleben, auch den einen oder anderen „Pakt für mehr B.“. Es steht allerdings zu befürchten, dass diese ähnlich erfolgreich bleiben wie jene der noch amtierenden Regierung – nämlich gar nicht.

Hartz IV

Christiansen, Sabine. Wird sich für ihre gleichnamige Talksendung neue Themen einfallen lassen müssen. Zu Zeiten der rot-grünen Regierung predigte die CDU-Sympathisantin Woche für Woche den Untergang der Republik („Ist im Autoland jetzt auch der Lack ab?“). Ist erst einmal die CDU-CSU-FDP-Koalition an der Macht, werden wir uns noch wundern, wie optimistisch Frau Christiansen sein kann. Der Titel der ersten Sendung nach einer schwarz-gelb gewonnenen Bundestagswahl steht jedenfalls schon fest: „Der Aufbruch – Wie Merkel und Co. die Republik verändern wollen“. Und sollte es doch nicht so gut laufen mit der konservativen Koalition, dann talkt Christiansen eben später mit Wulff, Lafontaine und dem Trigema-Affen über „Das Missverständnis – Vernünftige Konzepte, verstockte Bürger – Warum richtige Reformen nicht fruchten“.

Beschäftigung

Diekmann, Kai. Chefredakteur der Bild. Wird auch nach dem ersten publizistischen Taumel anlässlich des schwarz-gelben Sieges („Endlich! Jetzt zieht den Karren aus dem Dreck!“) über zwei Jahre hinweg keine Mühe haben, Schlagzeilen für sein Blatt zu finden. Mit Titelzeilen wie „Jetzt kommt heraus: Fischer wusste alles“ über „Jetzt kommt heraus: Schröder hatte keine Ahnung“ bis hin zu der Serie „Trittin: So luxuriös lebte die grüne Bonzen-Bestie“ wird sich die Bild-Zeitung der akribischen Aufarbeitung der acht Jahre währenden rot-grünen Schreckensherrschaft widmen. Im Falle einer zweiten Amtszeit der konservativen Regierung wird D. dann auch offiziell Regierungssprecher.

Entzugserscheinungen. Wird die jetzige Regierungsmannschaft nach dem Entzug der Macht kaum haben. Die fahren im Herbst 2006 alle erst mal in einen langen Urlaub, den sie jetzt schon billig zum Frühbuchertarif eingekauft haben. Dann gut dotierte Weiterbeschäftigung in der freien Wirtschaft.

Frauen. Könnten sich einerseits über eine Regierung Merkel freuen, denn noch nie war eine Repräsentantin ihres Geschlechts Bundeskanzlerin. Andererseits ist damit auch ein Endpunkt der institutionellen Fortentwicklung des Feminismus erreicht. Denn dass Merkel eine Frau ist, wird man ihrer Politik nicht anmerken.

Glück. Wird eine nach wie vor private Angelegenheit bleiben und als solche unter einer Regierung Merkel/Westerwelle auch für politisch anders denkende möglich sein. Zum Glück.

Hartz IV. Wird uns als vergleichsweise moderater Einschnitt in das soziale Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland in Erinnerung bleiben. Es werden weitere Einschnitte folgen, die allerdings dank des Einfallsreichtums der neuen Regierungsmannschaft (➝ Diekmann, Kai) attraktivere Namen tragen werden.

Neoliberalismus

Irak. Wird zum Einsatzort deutscher Bundeswehrsoldaten, denn eine konservativ-liberale Regierung wird es sich nicht nehmen lassen, im Bündnis mit den ➝ USA ihren Beitrag in Verantwortung für den Aufbau der Demokratie und des Friedens und so weiter und so fort.

Ordnung, öffentliche

Spiegel, Der

Jugend. Bleibt die Hoffnung dieses Landes. Wird sich unter einer konservativen Regierung einerseits aufs Rebellieren zurückbesinnen, dabei aber andererseits bestens gerüstet sein, mit dem Kapitalismus umzugehen.

Hartz IV

Ordnung, öffentliche

Revolution

Yps

Kernenergie. Für die Union kann „auf den erheblichen Beitrag der Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland auf absehbare Dauer nicht verzichtet werden.“ Deshalb wird eine konservative Regierung die Laufzeiten der bestehenden AKWs verlängern. Neue werden allerdings nicht gebaut.

Lebensformen, gleichgeschlechtliche. Bleiben weiterhin akzeptiert und sind also einer der wenigen nachhaltigen Erfolge der rot-grünen Regierung. Die Weiterentwicklung der Homoehe wird es allerdings auch unter einem schwulen Vizekanzler Westerwelle nicht geben.

Frauen

Müntefering, Franz. SPD-Vorsitzender. Wird nach einer für seine Partei verlorenen Bundestagswahl seine Führungsposition ausbauen und die Partei, jetzt ledig der Regierungsverantwortung, wieder nach links bewegen.

Neoliberalismus. Die schon jetzt herrschende Wirtschaftsdoktrin wird auch unter einer unionsgeführten Regierung weiter durchgesetzt. Der freie Markt wird weiter auf Kosten der Arbeitenden entschränkt, die Kontrolle des Kapitals weiter beschränkt. Steuern für Unternehmen werden weiter gesenkt. Der N. scheint weder von Regierungen noch von SPD-Vorsitzenden kontrollierbar zu sein. Was passieren könnte: dass sich angesichts einer immer dreisteren Durchsetzung des N. die darunter leidenden Geringverdiener und immer zahlreicheren Arbeitslosen mobilisieren und auf Veränderung der Zustände drängen.

Ordnung, öffentliche

Revolution

Ordnung, öffentliche. Wird aufrechterhalten, was aber nicht leichter wird, denn mit der neuen haben viele potenziell demonstrationswillige Deutsche wieder eine Regierung, gegen die sie auch deshalb beherzter demonstrieren können, weil sie sie nicht gewählt haben.

Polizeistaat. Auch unter einem Innenminister Günther Beckstein (CSU) wird die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einem P. werden – jedenfalls nicht mehr als unter Becksteins Lehrmeister Otto Schily (SPD).

Qualität des Lebens. Wird sich in der durchschnittlichen Wahrnehmung der Bundesbürger nicht wesentlich verändern, allerdings deutlich verschieben. Während die konservativ ausgerichtete Mehrheit des Landes unter einer schwarz-gelben Regierung einen Zuwachs an Lebensqualität ausmachen wird (schließlich werden wir nicht mehr von einem Showkanzler und einem Linksrabauken regiert), wachsen beim linken Rest Frustration und Beklemmung – die allerdings, dank eines klaren Feindbildes, nach kurzer Zeit der Schreckstarre in eine erhöhte Mobilisierung umschlagen könnten.

Hartz IV

Revolution

Revolution. Wird auch nach einem Wahlsieg Angela Merkels nicht ausbrechen. Bzw. nicht wegen eines Wahlsiegs Angela Merkels.

Spiegel, Der. Das immer noch so genannte Hamburger Nachrichtenmagazin kann mit seiner positionslos populistischen Regierungskritik weiter Auflage machen, wettert im nun wieder konservativ regierten Deutschland zur Abwechslung und weils gerade passt nicht mehr gegen „Verspargelung der Landschaft“ und Dosenpfand, sondern gegen ➝ Irak-Einsätze und Ausbau der ➝ Atomkraft. Ansonsten bleibt der S. bei seiner bewährten Mischung aus Hitler-Titeln und Islamisten-Hatz sowie Pferdedokumentationen und Maueröffnung auf dem hauseigenen TV-Sender XXP.

Schmidt, Harald. Läuft nach dem Regierungswechsel zunächst zu Höchstform auf, sendet bald sechsmal die Woche, verfällt allerdings im dritten Merkel-Jahr zusehends, imitiert verzweifelt, dabei aber uninspiriert Innenminister Günther Beckstein (CSU), Andrack muss immer öfter einschreiten, Sch. wirkt hilflos, empfängt ab Mitte 2009 wieder Gäste, wird im Herbst 2009 abgesetzt, nimmt das nicht zur Kenntnis und sendet verstockt auf dem Offenen Kanal Berlin weiter. Comeback 2011.

Türkei. Kann sich ihre EU-Mitgliedschaft bis auf weiteres abschminken (➝ Xenophobie). Nach einer angemessenen Schamfrist wird die Union allerdings eine Kehrtwende ihrer Türkeipolitik vollziehen und für den EU-Beitritt der Türkei votieren.

USA. Unter einer konservativen Bundesregierung wieder wichtigster Verbündeter der Bundesrepublik – mit allen Konsequenzen.

Irak

Vaterland. In der schwarz-gelben Regierungsrhetorik gern benutzte Vokabel für den „Standort Deutschland“.

Wahlkampf. Eigentlicher Grund für die Konsensunfähigkeit und Stagnation der deutschen Parteiendemokratie. Läuft bis zum Tag vor und beginnt wieder am Tag nach der Bundestagswahl.

Xenophobie (aus dem Griechischen: die Angst vor dem Fremden). Wird keine Krankheit mehr sein, die von Regierungsseite aus bekämpft wird – sondern eine der gern zitierten „Ängste der Bevölkerung, die man ernst nehmen muss“. Und, was nicht so laut gesagt wird, auch politisch nutzbar gemacht werden kann. Wer wird schuld sein an Rauschgift- und sonstiger Kriminalität sowie an der immer noch viel zu hohen Arbeitslosigkeit? Nicht nur, aber auch: der Fremde. Folgerichtig wird die Einbürgerung der hier lebenden Ausländer erschwert, werden die Einreisebestimmungen verschärft und wird die Abschiebung beschleunigt.

Yps mit Gimmick. Jugendzeitschrift. Kommt zurück. Wenigstens das ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Die Jugend wird zu innovativer Bastelei angehalten und lernt nebenbei eine der Grundregeln des Kapitalismus: Glaube nicht der Werbung. Denn das Gimmick des nächsten Heftes wird nie so toll sein, wie die Werbung dafür in diesem Heft verspricht. Viele tausende Urzeitkrebse werden wie früher schon einmal qualvoll in Einmachgläsern verenden. Diese tragische Entwicklung ist allerdings nicht direkt der schwarz-gelben Bundesregierung anzulasten.

Zitterpartie. Wird spätestens wieder die Bundestagswahl 2010 – für alle Beteiligten.