Vernünftig steuern

NEUE KAPITALE KRITIK (4): Internationale Steuern auf Aktien, Luxusgüter und den erdnahen Weltraum sind nötig. Sie einzutreiben und zu verteilen, ist leicht machbar

Abgaben für Satelliten im All sind nichts anderes, als Straßen mit Parkuhren zu bewirtschaften

Der Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts wurde über hundert Jahre hinweg in gewissem Maße gezähmt und zivilisiert – durch Sozialgesetze, Arbeitsrecht, Wettbewerbsrecht, Steuergesetze bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Zumindest in Europa und Nordamerika.

Heute besteht die Herausforderung darin, den globalisierten Kapitalismus transnational zu zähmen. Was durch den einzelnen Nationalstaat nicht mehr reguliert werden kann, muss man durch Instrumente transnationaler Staatlichkeit in den Griff bekommen.

Das ist nicht einfach und es wird heftige Gegenwehr geben. Aber als im 19. Jahrhundert die Kinderarbeit abgeschafft oder der Achtstundentag eingeführt werden sollte, wurde auch der Untergang des Abendlandes beschworen. Klage ist des Kaufmanns Gruß, sagt schon Shakespeare.

Ein wichtiges Instrument, wenn auch nicht das einzige, mit dem der Einstieg in eine soziale und ökologische Regulierung der Globalisierung beginnen könnte, sind internationale Steuern. Denn moderne Staatlichkeit beruht – neben dem Gewaltmonopol – im Wesentlichen auf der Fähigkeit, Steuern zu erheben und damit das Gemeinwesen zu finanzieren. Steuern sind zu allererst ein Instrument, Gesellschaft zu organisieren, zu strukturieren und auszugestalten. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Integration und Kohäsion eines Gemeinwesens. Ohne ausreichende Steuern kann eine Gesellschaft heute nicht funktionieren. Steuern sind mehr als ein Kostenfaktor.

Dabei sind sie in ihrer konkreten Ausgestaltung und ihren Effekten gesellschaftspolitisch nicht neutral. Je nach Kräfteverhältnissen kann die Steuerpolitik Privilegien und Herrschafts- oder aber auch emanzipatorischen Interessen dienen.

Internationale Steuern sind historisch völlig neu. Denn bisher war Besteuerung ausschließlich an den Nationalstaat gebunden. Mit der Globalisierung sind Voraussetzungen für eine internationale Besteuerung entstanden. Als Folge der Transnationalisierung von Ökonomie und Kommunikation gibt es völlig neue Möglichkeiten, Profite zu machen. Zum Beispiel durch die spekulative Nutzung von Wechselkursschwankungen, konzerninternen Handel in transnationalen Unternehmen, E-Commerce – alles über nationale Grenzen hinweg. Da ist es nur logisch, dass ein Teil der globalisierungsbedingten Gewinne abgeschöpft und an die Verlierer der Globalisierung umverteilt wird, etwa zur Finanzierung der Millenniums-Entwicklungsziele.

Gleichzeitig führt die Globalisierung nach neoliberalem Leitbild zu einer Erosion der nationalen Steuersysteme. Die Global Player nutzen Liberalisierung, Deregulierung, Steuerschlupflöcher und Steuerparadiese, um massiv nationale Steuern zu umgehen. Es findet eine Refeudalisierung statt. Die Starken zahlen immer weniger, während die Steuerlast für die Übrigen steigt. Resultat ist die strukturelle Dauerkrise der öffentlichen Finanzen und eine massive Umverteilung von unten nach oben. Internationale Steuern können hier zu einer Trendumkehr beitragen.

Steuern haben eine praktische Eigenschaft: man kann mit ihnen mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Richtig angelegt, können sie eine Lenkungswirkung haben. Ein Beispiel ist die Alkoholsteuer, mit der gesundheitspolitische Ziele erreicht werden sollen. Einer der Favoriten für internationale Besteuerung ist eine Flugbenzinsteuer. Richtig konzipiert bildet sie einen Anreiz, umweltschonende Flugzeugturbinen einzusetzen. Gleichzeitig können mit den Steuereinnahmen nützliche Dinge finanziert werden – Umwelt und Entwicklung beispielsweise –, wodurch wiederum gesellschaftliche Lenkungseffekte erzielt werden.

Ein gutes Beispiel für die optimale Verbindung von Lenkungswirkung und hohem Aufkommen ist eine Steuer auf Devisengeschäfte, die Tobinsteuer. Ihre Lenkungswirkung liegt darin, dass sie die Macht der Finanzmärkte und deren Shareholder-Orientierung, die im Zentrum der Globalisierung stehen und den Prozess dominieren, einschränken. Mit einer Variante der Steuer können auch Wechselkurse stabilisiert und spekulative Attacken abgewehrt werden. Bei 1,9 Billionen Dollar Umsatz pro Börsentag ist auch die Steuerbasis ideal. Das Geld wird dort geholt, wo es im Überfluss vorhanden ist. Das ist auch verteilungspolitisch interessant. Und die Steuer kann, anders, als es immer wieder behauptet wird, unilateral in der europäische Zeitzone eingeführt werden. Das gilt übrigens auch für Luftverkehrsteuern, die die EU einseitig einführen kann. Angesichts der Bedeutung des EU-Marktes würden die Fluggesellschaften die Steuer zwar zähneknirschend, aber dann doch abdrücken, denn der Verzicht auf den Markt oder eine Umgehung käme sie letztlich viel teurer.

Weitere Vorschläge für internationale Steuern liegen vor, unter anderem von einer Kommission des französischen Präsidenten: Besteuerung transnationaler Konzerne, des Bankgeheimnisses, von Offshore-Zentren, des Sekundärhandels mit Aktien und Wertpapieren, von Portfolio- und Direktinvestitionen, E-Commerce und Luxusgütern sowie von globalen öffentlichen Gütern, wie des erdnahen Weltraums und des elektromagnetischen Spektrums. Manches klingt exotisch. Aber Abgaben für Satelliten in geostationären Umlaufbahnen sind im Prinzip nichts anderes als die Bewirtschaftung des öffentlichen Raumes durch Parkuhren oder Autobahngebühren. Zudem ließe sich das praktisch leicht umsetzen. Bisher werden Lizenzen für kommerzielle Satellitenpositionen von der ITU, (International Telecommunication Union), einer UN-Unterorganisation, gegen eine einmalige Verwaltungsgebühr vergeben. Die Infrastruktur zur Steuereintreibung im UN- Rahmen besteht bereits. Die Summe müsste nur erhöht und regelmäßig erhoben werden. Die Einnahmen könnten dann in einen UN-Fonds zur Finanzierung von Umwelt und Entwicklung fließen.

Für die Erhebung einer Luxussteuer sind mehrere Verfahren denkbar. So könnte die bestehende Mehrwertsteuer mit ihren bisher zwei Sätzen um einen dritten ergänzt werden, für Autos ab einem bestimmten Hubraum, Yachten, Sportflugzeuge, Fünfsternehotels, Schönheitsoperationen, First-Class-Flugtickets und so weiter. Die Einnahmen daraus würden wiederum in einen internationalen Fonds fließen.

Die Flugbenzinsteuer könnte Anreiz für umweltschonende Flugzeugturbinen sein

Alles Wolkenkuckucksheim? In Belgien wurde ein Gesetz für eine Devisensteuer beschlossen. Das französische Parlament ist für die Tobinsteuer. Chirac, Lula, Kofi Annan und Zapatero haben sich für internationale Steuern ausgesprochen, und selbst Schröder hat im Januar die Tobinsteuer in Erwägung gezogen.

Eine gute Idee, sagt Schopenhauer, durchläuft drei Phasen: in der ersten gilt sie als idiotisch, in der zweiten wird sie heftig bekämpft, in der dritten wird sie eingeführt. Mit internationalen Steuern befinden wir uns zwischen Phase zwei und drei.

PETER WAHL