: Das blanke Grauen ausgegraben
Archäologen buddeln nach Zeugnissen untergegangener Kulturen. Deswegen ist es nur konsequent, wenn das Museum für Vor- und Frühgeschichte jetzt Funde aus dem Dritten Reich zeigt: Naziplunder, schrottige Waffen und einige Alltagsgegenstände
von TINA HÜTTL
Mit dem Handwerk von Archäologen verbindet man in der Regel das Freilegen von Siedlungen, Tonscherben und Knochen einer lange untergegangenen Zivilisation. Doch bevor Archäologen sich in die Tiefen vorbuddeln, befördern sie zuerst allerlei Plunder der jüngeren Vergangenheit an die Oberfläche: In Berlin liegen vor allem Waffen, Kriegsschrott und Nazirelikte aus dem Zweiten Weltkrieg im märkischen Sand. Doch wie alt müssen Funde sein, damit sie bewahrenswert sind? Diese Frage hat sich das Museum für Vor- und Frühgeschichte im Schloss Charlottenburg gestellt – und eine Vorreiterrolle übernommen: In der Ausstellung „Archäologie des Grauens“, die heute Abend eröffnet wird, zeigt es Ausgrabungsstücke aus der NS-Zeit.
„In Deutschland ist die so genannte Weltkriegs- oder NS-Archäologie noch immer umstritten“, erklärt Wilfried Menghin, Landesarchäologe und Direktor des Museums. Viele Fachleute hielten noch immer an dem Motto fest, „je älter, desto wertvoller“. Zu Unrecht, wie er findet. Dokumentierten das Geschirr eines ausgebombten Lokals und die Ausrüstung von Soldaten doch die grausame Vergangenheit eindringlicher als jede Fotografie. „Diese Authentizität muss auch für die Nachgeborenen bewahrt werden“, sagt er.
Menghin begründet die museale Dokumentation der jüngsten Geschichtszeugnisse in seinem Museum aber auch noch von einem konservatorischen Standpunkt aus: Schon jetzt sei der Zustand der gefundenen Objekte schlechter als bei vielen Funden aus den vergangenen Jahrtausenden. „Wenn die Waffen noch 100 Jahre im Boden liegen, sind sie verfallen.“
In der Tat ist es erstaunlich, wie sehr die vergangenen Jahrzehnte den Hinterlassenschaften des „1.000-jährigen Reiches“ unter der Erde zugesetzt haben. Die deutschen Stahlhelme in den Schaukästen bestehen fast gänzlich aus Rostlöchern. Auch in die Pistolen hat sich der Rost gefressen: Nur noch Skelette sind von ihnen übrig. Geborgen wurden die meisten Exponate bei den vielen Bauarbeiten in Berlin seit der Wiedervereinigung.
Als 1995 bis 1997 das Auswärtige Amt am Werderschen Markt errichtet wurde, rief man Heino Neumayer oft auf die Baustelle. Er kuratiert heute die Ausstellung. Viele der materiellen Zeugnisse aus der Schlacht um Berlin stammen von diesem Fundort. „Das Gelände war als Spreeübergang im Krieg um Berlin heiß umkämpft“, erklärt er.
Es findet sich nicht nur Kriegsgerät in der Ausstellung. Mit am eindrucksvollsten sind die Wandkritzeleien aus dem Fahrerbunker an der Vossstraße. Sie zeigen, wie SS-Angehörige sich selbst gern sahen: Als Beschützer in Uniform und mit Brustschild stellen sie sich vor Familien und ein Liebespaar, das auf einer Parkbank sitzt. Das Denkmalamt setzt sich dafür ein, dass auch der zurzeit versiegelte Bunker selbst wieder zugänglich wird. Um eine Täterhinterlassenschaft handelt es sich auch bei der Lagerakte aus dem KZ-Lichterfelde, einem Außenlager des KZ Sachsenhausen, die bei Grabungen nach einer spätbronzezeitlichen Siedlung entdeckt wurde. Die Akte gibt Auskünfte, wo Häftlinge zur Arbeit eingesetzt wurden. Für Neumayer ist sie der wichtigste Fund der Ausstellung.
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