Leistungssportler trainieren am Computer

Mainzer Informatiker entwickeln Beobachtungs- und Analyseprogramme für Sportler. Nicht jeder Trainer ist begeistert von dem virtuellen Berater

Eigentlich muss man nicht unbedingt ein Mathe-Genie sein, um in einer Sportart Erfolg zu haben. Lediglich mit Spielständen, Zeiten, Höhen und Weiten sollte man etwas anfangen können. Dass aber komplizierte Rechnungen auch im Sport von Bedeutung sind, beweist eine Wissenschaft mit dem Namen „Sportinformatik“.

Wo Athleten kämpfen und schwitzen, raucht den Wissenschaftlern der Kopf. Sportinformatiker entwickeln Programme und Modelle, die Sportlern helfen sollen, ihre Leistung zu steigern. Dass ein Computer beispielsweise Fußballer in ihrer Spielweise beflügeln kann, beweisen der Mainzer Sportinformatiker Jürgen Perl und seine Mitarbeiter: Anhand von Videoaufnahmen werden die Laufwege jedes einzelnen Spielers registriert, mit den gesammelten Daten kann die Begegnung rekonstruiert und bewertet werden.

„Dann sieht man, dass die einen zu wenig laufen oder ständig den Ball verlieren. Oder vielleicht auch, dass zwei Spieler nicht miteinander harmonieren, weil sie sich den Ball nicht vernünftig zuspielen“, sagt Jürgen Perl. So wird ein so genanntes Spielbeobachtungsprogramm zum Strategietrainer. Mannschaftssportarten wie Fußball gehören zu den komplexeren Arbeitsfeldern der Sportinformatik, erklärt Perl.

Etwas einfacher sei die Auswertung von Individualsportarten wie Tennis, Squash oder Badminton. Jede Aktion landet in einer Datenbank und kann hier kurz und klein analysiert werden. „Wie gut trifft der Spieler den Ball? Wann macht er Fehler? Und vor allem: Warum macht er sie?“

Doch nicht nur auf Taktik und Technik wirft der Sportinformatiker einen wachsamen Blick: Er entwickelt auch Programme, die unter medizinischen und physiologischen Aspekten das Trainingspensum eines Sportlers überwachen und optimieren. Hierbei müssen unter anderem Puls- oder Blutwerte berücksichtigt werden.

Seit nunmehr 15 Jahren beschäftigen sich die Informatiker an der Mainzer Universität mit sportlichen Leistungen und Bewegungen. Vor zwei Jahren wurde in Barcelona die Internationale Sportinformatiker-Organisation gegründet. Die Mitglieder wählten Jürgen Perl zu ihrem Vorsitzenden, deutsche Wissenschaftler seien in dieser Disziplin federführend, sagt er, zumal man an einigen deutschen Hochschulen das Fach sogar studieren könne. Und Ende Mai findet in Hvar in Kroatien der 5. Internationale Kongress „Computer Science in Sport“ statt.

Allein was die Umsetzung in die Praxis betrifft, hapert es noch gewaltig. Zum einem lassen sich die meisten Trainer sicher nicht gern von einem virtuellen Berater reinreden. Zum anderen müssten sie nebenbei ordentlich Material in ihren Computer eintippen. „Die Datenerfassung und die Dateneingabe sind auch mit moderner Technik so aufwändig, dass die meisten Betreuer und Sportler davor zurückschrecken“, gibt Jürgen Perl zu.

So müssen die Weisheiten aus der Datenbank eben noch auf der Ersatzbank ausharren. Zumal die Tatsache hinzukommt, dass Jürgen Perl und seine Mitarbeiter ihre Arbeit den Athleten und ihren Betreuern nicht kostenlos zur Verfügung stellen können.

Im Rahmen von geförderten Projekten dürfen Sportinformatiker ihre Technik aber regelmäßig anwenden. Teilweise mit Erfolg: So konnten zum Beispiel die deutschen Beachvolleyballer Jörg Ahmann und Axel Hager bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 Bronze gewinnen – trainiert und gecoacht wurden sie unter anderem von Augsburger Sportinformatikern.

Jürgen Perl jedenfalls hätte überhaupt nichts dagegen, wenn er in Zukunft seine theoretischen Erkenntnisse noch häufiger in die Tat umsetzen könnte. Ein bisschen Taktiktraining am Bildschirm mit Jürgen Klinsmann und der deutschen Fußballnationalmannschaft vielleicht. Oder eine feine Computeranalyse der schwächelnden deutschen Eishockeyspieler. Berechenbar jedenfalls sind sie alle für den Sportinformatiker.

JUTTA HEESS