Der Mensch liebt selbst seine Peiniger

Bereits in der Pause kehrten einige Zuschauer dem Stück schockiert den Rücken. Dennoch wurde viel gelacht bei der Münsteraner Inszenierung von John von Düffels Auftragsarbeit „Das Schlechteste Theaterstück der Welt II“

Christina Aguilera sei transsexuell, sagt der bis dahin sprachlose „geistig zurückgebliebene“ „Max“ (Frank-Peter Dettmann). Nur so. Er hat den letzten Satz in John von Düffels Auftragswerk fürs Kleine Haus in Münster. Düffel verbindet hier drei in seiner Arbeit wiederkehrende Motive: kleinbürgerlicher Terror, kommunikatives Chaos und das Spiel mit dem Theater.

Frau Aguilera kommt selbst nur im Soundtrack vor. Ihre Version von „Voulez vous coucher avec moi“ als Refrain in Endlosschleife passt zur dumpf retardierten Atmosphäre der Ausgangssituation im ersten Teil. Die Bühne ist eine muffige Bar. Hier hängen neben „Max“ im frustrierten Suff zwei Bundeswehrsoldaten ab: „Feldhoff“ (Marek Sarnowski) ist alltäglich faschistoid, notgeil „seit ich beim Barras bin“ und Bruder von „Max“, den er sich rühmt, stets misshandelt zu haben, denn: „Der Mensch liebt seine Peiniger.“ „Melzer“ (Sebastian Knözinger), auch etwas schwer von Begriff, muss dringend pinkeln, scheitert aber an der verschlossenen Klotür.

Ins Trio platzt ein „Othello“ – schwarz geschminkt und noch den Blumenstrauß in der Hand – auf der Suche nach der Premierenfeier. Von „Feldhoff“ als „Rosenverkäufer-Bimbo“ verdächtigt, soll er beweisen, Schauspieler zu sein. Es folgen Rollenvorspiele, die „Melzer“ und „Feldhoff“ zur Darstellung des eigenen vermeintlichen Könnens animieren. Schließlich erscheinen der „Regisseur“ (Benjamin Kradolfer) und seine Assistentin (Julia Maronde).

Von Düffels Stück in der Regie von Beat Fäh ist ein Vexierspiel zwischen Alltags- und Theaterrollen. Eine sprachlich entlarvende, doppelsinnige Groteske über die Inszenierung von Gewalt und der Reaktion zwischen Schaulust und Darüberhinwegsehen. „Da denkt man Monate über Realität nach und dann begegnet sie einem“, fabuliert der „Regisseur“. Ihm wird alles zum „Theater mit Live-Qualität“: Das läppische Vorspielen des selbst ernannten Schauspieltalents „Melzer“ ebenso, wie die brutale Prügel „Feldhoffs“ gegen „Othello“ und die Vergewaltigung der „Assistentin“ durch „Feldhoff“ und „Melzer“.

Der zweite Teil scheint als Wiederholung zu beginnen, wird aber zunehmend zur Dekonstruktion des ersten durch Rollenverschiebungen und Zuspitzung. Die Darsteller reflektieren sich nun tatsächlich als „Darsteller“, die Bar ist Kulisse. Sie streiten über Konzepte und Möglichkeiten des Theaters. Aber so, wie in der „Realität“ des ersten Teils offensichtliche Requisiten für Irritationen sorgen, blitzt jetzt die „Realität“ als Irritation auf. „Das schlechteste Theaterstück der Welt II“ funktioniert durchaus gut. Nicht zuletzt, weil in solchem Zusammenhang das Ambiente eines Stadttheaters auf jeden Fall seinen Sinn hat.

MARCUS TERMEER

Heute, 19:30 Uhr Städtische Bühnen MünsterInfos: 0251-41467100