Blick hinter das Tor zur Welt

Touristenattraktionen einmal anders: Alternative Hafenrundfahrten ermöglichen eine selten kritische Sicht auf das Treiben im Hamburger Hafen. Auch die Vergangenheit wird thematisiert

von Sebastian Bertram

Freitagnachmittag am Anleger Vorsetzen – beschaulich liegt die Uferpromenade in der Frühlingssonne. Doch wirklich friedlich ist es nicht. Immer wenn einer der beiden kapitänsbemützten Herren lauthals zur „Großen Hafenrundfahrt“ ruft, zucken einige Flaneure genervt zusammen. Magdalene Mintrop von der „Dritte-Welt-Hafengruppe“ braucht nicht zu schreien, um ihre Barkasse mit Fahrgästen zu füllen. Für heute hat sich eine Gruppe Fachhochschüler bei ihr angemeldet. Die 25 Außenwirtschaftsstudenten interessieren sich für „Hamburgs Handel mit der Dritten Welt“.

Seit April starten wieder die Barkassen der alternativen Hafenrundfahrten. Zu festgelegten Zeiten, aber vor allem nach individueller Terminvereinbarung ermöglichen diverse Veranstalter seltene Einblicke hinter die Kulissen des Hamburger Hafens. Neben „Hamburgs Handel mit der Dritten Welt“ werden „Migration und Rassismus“, „Faschismus, Widerstand und Verfolgung“ sowie „Arbeit“ und „Umwelt“ thematisiert.

Unter der Niederbaumbrücke hindurch steuert der Kapitän die schwarz-grüne Barkasse direkt in die Keimzelle des Hamburger Hafens: Mit dem Blick in den Nikolaifleet beginnt für die Fahrgäste von Magdalene Mintrop die geführte Tour. Der einstige Tummelplatz hanseatischer Kaufleute, wo sich bis ins 19. Jahrhundert hinein Rathaus und Börse befanden, stehe für die fortwährende „Tradition der kurzen Wege zwischen Politik und Wirtschaft in dieser Stadt“, erzählt Mintrop ins Mikrofon. Und hat mit der Speicherstadt auch gleich ein passendes Beispiel parat: „Um mehr Lagerplatz für Ware aus Übersee zu schaffen zwang der Senat Ende des 19. Jahrhunderts 25.000 Arbeiter, die hier lebten, in nördlichere Quartiere umzusiedeln“, nimmt sie den roten Klinkerbauten etwas von ihrem touristischen Charme.

Wie sehr politische und wirtschaftliche Interessen auch heute miteinander verwoben sind, erfahren die an „Umwelt“ interessierten Barkassen-Passagiere ebenso exemplarisch. Ein Schwimmbagger animiert Klaus Voltmer vom Förderkreis „Rettet die Elbe“ e. V. zur kritischen Würdigung der Elbvertiefungspläne des Senats. „Statt mit deutschen Tiefwasserhäfen an der Nordsee zu kooperieren, möchte Hamburg die Elbe für die größten Containerschiffe befahrbar machen“, erklärt Voltmer seinen sechs fröstelnden Fahrgästen, die trotz des regnerischen Wetters an Bord gegangen sind: „Mit einer Ausbaggerung erhöht sich aber die Fließgeschwindigkeit des Stromes weiter, womit die letzten vorhandenen Flachwassergebiete zerstört werden.“

Auch ohne Elbvertiefung hat es die „Grande Argentina“ in den Hafen geschafft. Gemächlich flankiert die Barkasse mit Magdalene Mintrop an Bord den gigantischen Rumpf des Containerriesen. „Der Pott hat Bananen geladen“, weiß Mintrop. „Ein Viertel aller Bananen-Importe nach Hamburg stammt aus Costa Rica.“ Eventuell aufkommende Gelüste werden im Keim erstickt, als die Studenten erfahren, dass die beim Anbau der Früchte eingesetzten Pestizide für die hohe Magenkrebsrate in dem mittelamerikanischen Land verantwortlich seien.

Wachsende Betroffenheit auch bei Voltmers Gruppe. Gerade hat er über giftigen Elbschlick referiert. Nun, in Sichtweite riesiger Stahlkonstruktionen, erzählt er, warum für die Errichtung des hochmodernen Containerterminals in Altenwerder ein ganzes Dorf zerstört werden musste, während andernorts Hafenflächen brach liegen: „Es war für Stadt und Unternehmen einfach zu teuer, die ehemaligen Industriegelände zu sanieren.“

Anderthalb Stunden wird in der Regel über Billigbeflaggung oder Industrieabwässer informiert, und zunehmend interessieren sich auch „Normaltouristen“ für die unterschiedlichen Aspekte einer alternativen Hafenrundfahrt, berichtet Sonja Tesch, die sämtliche Touren koordiniert. „Seit unsere Angebote auch im Internet verfügbar sind, nehmen an den offenen Fahrten immer mehr Menschen teil, die keinerlei Vorkenntnisse von den vielen Missständen im Hamburger Hafen haben.“