Gloystein lässt die Korken knallen

Nach dem Abgang von Wirtschaftssenator Peter Gloystein sucht die CDU einen Kandidaten. Bürgermeister Henning Scherf will sich raushalten – aus allem?

Bremen taz ■ Tag eins nach dem Rücktritt von Wirtschaftssenator Peter Gloystein (CDU): Der letzte verbliebene Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) beantwortet Journalistenfragen – und ist sichtlich angespannt. Senatssprecher Klaus Schloesser erklärt, dass es heute nicht wie sonst Kaffee und Tee gebe. „Gibt’s keinen Sekt?“, fragt ein Spaßvogel, einige lachen. Scherf verzieht nur seinen großen Mund und findet das gar nicht komisch.

Gloystein hatte am Mittwoch einem Obdachlosen Sekt über den Kopf gegossen. Sein Verhalten sei ein „krasser Fehler“ gewesen, sagte Scherf, den er aber wie der Wirtschaftssenator selbst zunächst für „reparabel“ gehalten habe. Am Donnerstagnachmittag habe ihm Gloystein dann jedoch telefonisch mitgeteilt, dass er zurücktreten werde.

Ob es ihn überrascht habe, dass Gloystein in der vorangegangenen Sitzung des CDU-Fraktionsvorstandes nicht mehr Rückendeckung erhalten habe? Scherf windet sich. Ob er denn überhaupt gewusst habe, ob Gloystein jemals die Fraktion hinter sich gehabt habe? „Das hat er mir gegenüber immer behauptet“, sagt der Bürgermeister, mehr nicht. Und verschweigt, dass er zwar mit Gloystein Absprachen treffen konnte, sich aber in der CDU niemand daran gebunden fühlte.

In der internen Sitzung der CDU-Fraktion nach Gloysteins Ausraster war die Stimmung auch deswegen mehr als gedrückt, wie Teilnehmer schildern. Es sei Gloystein nicht nahe gelegt worden zurückzutreten, auch eine Abstimmung habe es nicht gegeben, lässt Fraktionsvorsitzender Jörg Kastendiek mitteilen. Und ergänzt kühl, dass der Abgang „Schaden von Bremen“ abwende. „Wenn Gloystein ein bisschen sensibel ist – und ich gehe davon aus, dass er das ist – dann muss er in der Sitzung erkannt haben, dass es so nicht weitergehen kann“, erklärt Rolf Herderhorst (CDU). Die Kommunikation mit Gloystein sei von jeher schwierig gewesen, meint ein anderer Abgeordneter. Zwei Wirtschaftspolitiker der CDU, die ebenfalls an der Sitzung teilnahmen, wollen sich erst gar nicht dazu äußern. Zwei Stunden nachdem Gloystein in der Fraktion keine Fürsprecher mehr fand, verkündete er im Lokalfernsehen seinen Rücktritt nach nur achteinhalb Monaten Amtszeit.

Und nun? „Wer neuer Wirtschaftssenator wird, ist Sache der CDU“, sagt Henning Scherf. Er habe mit CDU-Landeschef Bernd Neumann eine Abmachung, dass jeder Koalitionspartner über seine Personalien allein entscheide. Das habe sich bewährt, er wolle sich nicht einmischen. Bis Juni soll ein neuer Senator in der Bürgerschaft gewählt werden. Vorerst soll Bau- und Umweltsenator Jens Eckhoff (CDU) kommissarisch die Geschäfte führen.

Henning Scherf interessiert offenbar nicht, wer sein neuer Stellvertreter wird. Und der CDU-Chef hat keinen Kandidaten. Gestern Abend bespricht er sich mit dem geschäftsführenden Landesvorstand, will sich ein Mandat zur Kandidatensuche abholen. „Ich werde die Sache in die Hand nehmen“, teilt Neumann per Handy mit. Die Entscheidung sei völlig offen, er habe aber noch kein Gespräch mit einem potenziellen Kandidaten geführt. Dann reißt das Gespräch ab, Neumanns Akku ist leer. Vielleicht hat er doch schon das eine oder andere Telefonat geführt.

Und Henning Scherf? Der redet noch einmal über Gloysteins Ausfall. Er habe sich den Kopf zerbrochen, was seinen Wirtschaftssenator zu solch einer Tat gebracht habe. Erklären kann er es nicht, vielleicht aber bald nachfühlen. Heute um 13 Uhr empfängt Scherf auf dem Marktplatz Reisende der Weintour von Rüdesheim nach Bremen. Es soll „Freiwein“ für die Besucher geben – den gab es auch bei der Eröffnung des Weinfestes durch Peter Gloystein. Kay Müller