Belgiens Regierung ist noch einmal gerettet

Regierung Verhofstadt übersteht Vertrauensabstimmung. Streit zwischen Flamen und Wallonen um zwei Jahre vertagt

BRÜSSEL taz ■ Der belgische Premierminister Guy Verhofstadt hat gestern Nachmittag eine Vertrauensabstimmung im Parlament gewonnen und konnte damit vorgezogene Neuwahlen verhindern. Von 147 Abgeordneten stimmten 97 für Premierminister Verhofstadt, 50 gegen ihn. Seine Regierungskoalition aus frankophonen und flämischen Parteien bleibt also bestehen.

Diese beiden Gruppen hatten mit ihrem Dauerstreit die gestrige Abstimmung provoziert. Im Kern des Konflikts steht der Wahlbezirk Hal-Vilvord. Die beiden Gemeinden liegen im Süden und im Norden von Brüssel auf flämischem Gebiet, also im Herrschaftsbereich der flämischen Regionalregierung. Allerdings leben um die belgische Hauptstadt herum auch immer mehr frankophone Belgier. Deshalb gilt bisher: Bei regionalen und nationalen Wahlen können die Bewohner in Hal und Vilvord ihre Stimmen auf den frankophonen Wahllisten abgeben. Ihre Stimmen werden zu denen der Brüsseler dazugezählt.

Von Anfang an war aber gedacht, dass diese Regelung nur vorübergehend sein sollte, um den Frankophonen das Einleben in Flandern einfacher zu machen. Und die flämische Regionalregierung hatte ihren Wählern auch versprochen, die Ausnahmeregelung bis spätestens Ende vergangenen Jahres aufzuheben. Deshalb diskutierten Flamen und Wallonen seit Monaten über eine mögliche Auflösung des konstruierten Wahlbezirks – ohne Erfolg.

Der Verhandlungsmarathon war am vergangenen Dienstag ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Und dabei war man schon ganz nah dran an einem Kompromiss: Die Flamen sollten in Zukunft auf den flämischen, die Frankophonen auf frankophonen Listen wählen. Aber die kleine flämische Splitterpartei Spirit, die der nationalen Regierungskoalition angehört, war nicht einverstanden und brachte damit die Verhandlungen zum Scheitern. Jetzt heißt es: Das Dossier Hal-Vilvord wird eingefroren bis nach den nächsten Wahlen 2007.

Die gewonnene Vertrauensabstimmung gestern heißt aber noch lange nicht, dass die Regierungskrise in Belgien endgültig beendet ist. „Das Spiel ist nicht vorbei; ich gebe Ihnen noch einen Monat Überlebenszeit“, sagte Pieter de Crem von der flämischen christdemokratischen Partei CDV dem Premierminister. Die Regionalregierung von Flandern ist stinksauer über den Kompromiss, die Verhandlungen auf nach 2007 zu verschieben. Schließlich bricht sie damit ihr Wahlversprechen. Jetzt fordern die Flamen andere Zugeständnisse von der nationalen Regierung. Denn das Dossier Hal-Vilvord ist nur eines von vielen im ewigen Streit der beiden belgischen Sprachgemeinschaften. Die Flamen wollen mehr Kompetenzen für die regionale Regierung und damit mehr Autonomie für Flandern. Die bestehenden Spracherleichterungen für die frankophone Bevölkerung im flämischen Teil Belgiens sollen nach ihrem Willen einfach abgeschafft werden.

In den vergangenen Wochen wurden gar Forderungen nach einer Teilung des Landes laut. „Belgien hängt am seidenen Faden“, titelte die frankophone Tageszeitung Le Soir. Die Regierung von Guy Verhofstadt wird wohl einige Mühe haben, die Gemüter wieder zu beruhigen.

RUTH REICHSTEIN